IAS 12 regelt Ausweis, Ansatz und Bewertung von Steueransprüchen und Steuerschulden. Hierbei wird unterschieden zwischen
- tatsächlichen Steuererstattungsansprüchen und -schulden aus der Differenz von vorausgezahlter und veranlagter Steuer (current taxes) und
- latenten Ansprüchen und Schulden aus steuerlichen Verlustvorträgen oder temporären Bewertungsunterschieden zwischen IFRS-Bilanz und Steuerbilanz (deferred taxes).
In der Behandlung der tatsächlichen Steuern besteht weitgehende Übereinstimmung zum HGB. Bei den latenten Steuern gilt dies seit Änderung des HGB durch das BilMoG für die konzeptionelle Basis:
- Das sog. timing-Konzept des alten Handelsrechts begründete Latenzen über die GuV, indem es danach fragte, ob Ergebnisse steuerbilanziell in einer anderen Periode anfallen als handelsbilanziell (unterschiedliches timing von Ergebnissen).
- Das temporary-Konzept von IAS 12 und § 274 HGB ist hingegen streng bilanzorientiert. Es fragt danach, ob zeitlich befristete Ansatz- und Bewertungsunterschiede (sog. temporary differences) zwischen Steuer- und IFRS- bzw. HGB-Bilanz bestehen, deren Auflösung später zu Steuermehr- oder -minderbelastungen führen wird. Im Mittelpunkt steht nicht die zutreffende Periodisierung von Steueraufwand, sondern der richtige Ausweis des Nettovermögens unter Beachtung potenzieller Steuerlasten und Steuererstattungen.
Vor diesem konzeptionellen Hintergrund ergeben sich gleichwohl Unterschiede in der praktischen Bedeutung der latenten Steuern. In der deutschen Rechnungslegung ist diese geringer als in der internationalen:
- Außerhalb des Sonderproblems der Aufdeckung stiller Reserven bei der Erstkonsolidierung begründet die Mehrzahl temporärer Differenzen eine aktive Latenz, sei es, weil Drohverlustrückstellungen steuerlich nicht anerkannt werden (§ 5 Abs. 4a EStG) oder außerplanmäßige Abschreibungen in § 6 EStG steuerlich restriktiver geregelt sind als handelsbilanziell. Ein derartiger Überhang latenter Steuern ist nach § 274 HGB jedoch nur aktivierungsfähig, nicht aktivierungspflichtig.
- Die handelsrechtliche Praxis verzichtete regelmäßig auf eine Aktivierung, sodass etwas zugespitzt: Wenige handelsrechtliche (Einzel-)Bilanzen latente Steuern enthalten.
In der internationalen Rechnungslegung hatten latente Steuern immer einen höheren Stellenwert.
- Dies liegt zum einen an der immer schon gegebenen Unabhängigkeit der IFRS-Abschlüsse von steuerrechtlichen Überlegungen.
- Zum anderen besteht im Gegensatz zum Handelsrecht eine generelle Ansatzpflicht für latente Steuern.
- Als Faustregel galt und gilt daher: beinahe keine IFRS-Bilanz ohne latente Steuern.
Etwas vereinfacht lässt sich für den Einzelabschluss sagen, dass IFRS und HGB nur hinsichtlich der Bewertung latenter Steuern übereinstimmen. Dagegen bestehen wesentliche Unterschiede in Anwenderkreis, Ausweis und Ansatz:
- Während die handelsrechtlichen Vorschriften über latente Steuern nur für Kapitalgesellschaften (und GmbH & Co.) gelten, sind die IFRS-Vorschriften rechtsformunabhängig.
- Die Saldierung aktiver und passiver latenter Steuern ist nach Handelsrecht allgemein zulässig, hingegen nach IFRS an restriktive Bedingungen geknüpft.
- Während das Handelsrecht nur den Ansatz passiver latenter Steuern vorschreibt, es dagegen bei aktiven latenten Steuern, die nicht konsolidierungsbedingt sind, bei einem Ansatzwahlrecht belässt, sehen die IFRS in beiden Fällen ein Ansatzgebot vor.
- Die zukünftigen Steuervorteile aus Verlustvorträgen sind nur nach IFRS bilanzierungspflichtig, nach Handelsrecht besteht ein Aktivierungswahlrecht.
Abb. 1: Latente Steuern im Einzelabschluss
Tipp
Latente Steuern stellen in der Praxis (neben Finanzinstrumenten) eine Hauptschwierigkeit der Umstellung von IFRS nach HGB dar. Ein Grund liegt darin, dass mit der Steuerbilanz ein drittes Rechenwerk zu berücksichtigen ist. Ein zweiter Grund ist die notwendige "Verfolgung" des Postens über mehrere Perioden. Drittens fehlt wegen der geringeren Bedeutung von Latenzen für die Handelsbilanz die Übung. Häufig wird deshalb bei der Erstaufbereitung (IFRS-Eröffnungsbilanz) externer Sachverstand (WP/StB) hinzugezogen, auch um organisatorische Vorkehrungen für die Folgezeit zu treffen, damit z. B. im Konzern die steuerlichen Verhältnisse aller konsolidierten Unternehmen zutreffend berücksichtigt werden.