OFD München, Verfügung v. 2.6.1998, S 0223 - 6 St 312
In Fällen erschwerter Sachverhaltsermittlung dient es unter bestimmten Voraussetzungen der Effektivität der Besteuerung und dem Rechtsfrieden, wenn sich die Beteiligten über die Annahme eines bestimmten Sachverhalts und über eine bestimmte Sachbehandlung einigen können (Nr. 1 Abs. 2 des Anwendungserlasses zu § 88 AO).
Diese tatsächliche Verständigung kann nach der Rechtsprechung des BFH-Urteil vom 11.12.1984, VIII R 131/76, BStBl 1985 II S. 354; vom 5.10.1990, III R 19/88, BStBl 1991 II S. 45; und vom 6.2.1991, I R 13/86, BStBl 1991 II S. 673) in jedem Stadium des Veranlagungsverfahrens, insbesondere auch anläßlich einer Außenprüfung und während eines anhängigen Rechtsbehelfs bzw. Rechtsmittelverfahrens (z.B. im Rahmen einer Erörterung nach § 364 a AO) getroffen werden. Beabsichtigen die Beteiligten, sich auf diese Weise über eine bestimmte Sachbehandlung zu verständigen, so sind die folgenden Grundsätze zu beachten:
1. Zulässigkeit
1.1 Die tatsächliche Verständigung ist ausschließlich im Bereich der Sachverhaltsermittlung zulässig.
1.2 Die tatsächliche Verständigung ist nicht zulässig
- zur Klärung zweifelhafter Rechtsfragen,
- über den Eintritt bestimmter Rechtsfolgen,
- über die Anwendung bestimmter Rechtsvorschriften und
- wenn sie zu einem offensichtlich unzutreffenden Ergebnis führt.
2. Voraussetzungen
Voraussetzung für eine tatsächliche Verständigung ist das Vorliegen eines Sachverhalts, der nur unter erschwerten Umständen ermittelt werden kann. Das ist z.B. der Fall, wenn sich einzelne Sachverhalte nur
- mit überdurchschnittlichem Arbeits- und Zeitaufwand und/ oder
- mit überdurchschnittlicher Zeitdauer ermitteln lassen.
Bei der Frage, ob eine erschwerte Sachverhaltsermittlung vorliegt, kann auch auf das Verhältnis zwischen voraussichtlichem Arbeitsaufwand und steuerlichem Erfolg abgestellt und ferner berücksichtigt werden, in welchem Maß das FA durch ein zu erwartendes finanzgerichtliches Verfahren belastet wird, sofern es bei vorhandenen tatsächlichen Zweifeln dem Begehren des Steuerpflichtigen nicht entspricht und zu seinem Nachteil entscheidet.
3. Anwendungsbereich
3.1 Die tatsächliche Verständigung kommt insbesondere in Fällen in Betracht, in denen ein
- Schätzungsspielraum,
- Bewertungsspielraum,
- Beurteilungsspielraum oder
- Beweiswürdigungsspielraum
besteht.
3.2 Die tatsächliche Verständigung unterscheidet sich von der verbindlichen Auskunft dadurch, daß sie sich ausschließlich auf abgeschlossene Sachverhalte bezieht.
4. Durchführung
Die tatsächliche Verständigung dient der Herstellung des Rechtsfriedens bei gleichzeitiger Beschränkung des Arbeits- und Zeitaufwandes auf ein vertretbares Maß. In Fällen, denen keine wesentliche Bedeutung zukommt, kann es deshalb aus Vereinfachungsgründen bei dem Verfahren der fernmündlichen Auskunft mit anschließendem Aktenvermerk verbleiben. Die Abgrenzung hat sich an der Bedeutung des Gesamtsteuerfalles zu orientieren; hierbei ist nicht kleinlich zu verfahren. In anderen Fällen ist bei der Durchführung der tatsächlichen Verständigung zu beachten:
4.1 Die Beteiligten müssen zu einer abschließenden Regelung befugt sein.
4.1.1 Wird der Steuerpflichtige vertreten, muß eine entsprechende Vollmacht vorliegen. Eine uneingeschränkte Vollmacht gemäß § 80 Abs. 1 Satz 2 AO umfaßt auch die Befugnis zu einer tatsächlichen Verständigung.
4.1.2 Auf seiten des FA muß der für die Entscheidung über die Steuerfestsetzung zuständige Amtsträger beteiligt sein (vgl. BFH vom 5.10.1990, III R 19/88, BStBl 1991 II S. 45). Das ist regelmäßig der Vorsteher, daneben der zuständige Sachgebietsleiter des Veranlagungsbereichs; unter Umständen kommt auch der Sachgebietsleiter der Rechtsbehelfsstelle in Betracht, soweit die Verständigung im Rahmen eines Rechtsbehelfsverfahrens getroffen wird (vgl. BFH vom 28.7.1993, IX R 68/92, BFH/NV 1994 S. 290).
War an der tatsächlichen Verständigung ein für die Entscheidung über die Steuerfestsetzung zuständiger Amtsträger nicht beteiligt, kann dieser Mangel nicht durch nachträgliche Zustimmung geheilt werden (vgl. BFH vom 28.7.1993, XI R 68/92, BFH/NV 1994, 290).
4.2 Eine tatsächliche Verständigung soll sich nach Möglichkeit nur auf einen einzelnen Sachverhalt beziehen. Sollen tatsächliche Verständigungen über mehrere Sachverhalte herbeigeführt werden, sind i.d.R. auch mehrere, voneinander unabhängige tatsächliche Verständigungen anzustreben. Im Hinblick auf den denkbaren Einwand des Wegfalls der Geschäftsgrundlage sollten „Paketlösungen” (Einzelregelungen, die in ihrem Bestand voneinander abhängig gemacht werden) nur dann erwogen werden, wenn eine Klärung der offenen Sachverhaltsfragen nur auf diesem Wege erreicht werden kann.
4.3 Der Inhalt der tatsächlichen Verständigung sollte in einfacher, aber beweissicherer Form unter Darstellung der Sachlage schriftlich festgehalten und von den Beteiligten unterschrieben werden. Bei Steuerfahndungsprüfungen ist eine solche Verständigung generell schriftlich festzuhalten und von den Beteil...