OFD Magdeburg, Verfügung v. 8.9.1997, S 0223 - 2 - St 251
In Fällen erschwerter Sachverhaltsermittlung dient es unter bestimmten Voraussetzungen der Effektivität der Besteuerung und allgemein dem Rechtsfrieden, wenn sich die Beteiligten über die Annahme eines bestimmten Sachverhalts und über eine bestimmte Sachbehandlung einigen können (Nr. 1 AEAO zu § 88 AO).
Vereinbarungen zwischen dem Steuerpflichtigen und der Finanzbehörde über den der Besteuerung zugrunde zu legenden Sachverhalt werden als „tatsächliche Verständigungen” bezeichnet. Sie können nach der Rechtsprechung des ( BFH Urteile vom 11.12.1984, VIII R 131/76, BStBl 1985 II S. 354; vom 5.10.1990, III R 19/88, BStBl 1991 II S. 45; und vom 6.2.1991, I R 13/86, BStBl 1991 II S. 673) in jedem Verfahrensabschnitt, auch anläßlich einer Außenprüfung und während eines anhängigen – gerichtlichen oder außergerichtlichen – Rechtsbehelfs- oder Rechtsmittelverfahrens, getroffen werden. Von einer solchen Vereinbarung kann auch bei Steuerfahndungsprüfungen bzw. nach Einleitung eines Steuerstrafverfahrens Gebrauch gemacht werden. Beabsichtigen die Beteiligten, sich auf diese Weise über eine bestimmte Sachbehandlung zu verständigen, sind folgende Grundsätze zu beachten:
1 Zulässigkeit
1.1 Die tatsächliche Verständigung ist ausschließlich im Bereich der Sachverhaltsermittlung zulässig.
1.2 Die tatsächliche Verständigung ist nicht zulässig
- zur Klärung zweifelhafter Rechtsfragen (Das entgegenstehende, rechtskräftige Urteil des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 19.11.1996, VI 393/92 (EFG 1997 S. 846), wonach eine Verständigung auch insoweit zulässig sei, als die Beteiligten sich über die Auslegung und rechtliche Beurteilung zivilrechtlicher Verträge oder zivilrechtlicher Rechtsfragen, die als Vorfragen der steuerlichen Beurteilung zugrunde zu legen sind, einigen, ist über den entschiedenen Einzelfall hinaus nicht anzuwenden.),
- über den Eintritt bestimmter Rechtsfolgen,
- über die Anwendung bestimmter Rechtsvorschriften und
- wenn sie zu einem offensichtlich unzutreffenden Ergebnis führt.
2 Voraussetzungen
Voraussetzung für eine tatsächliche Verständigung ist das Vorliegen eines Sachverhalts, der nur unter erschwerten Umständen ermittelt werden kann. Das ist z.B. der Fall, wenn sich einzelne Sachverhalte nur
- mit überdurchschnittlichem Arbeits- und Zeitaufwand und/oder
- mit überdurchschnittlicher Zeitdauer ermitteln lassen.
Bei der Frage, ob eine erschwerte Sachverhaltsermittlung vorliegt, kann auch auf das Verhältnis zwischen voraussichtlichem Arbeitsaufwand und steuerlichem Erfolg abgestellt und ferner berücksichtigt werden, in welchem Maß das FA durch ein zu erwartendes finanzgerichtliches Verfahren belastet wird, sofern es bei vorhandenen tatsächlichen Zweifeln dem Begehren des Steuerpflichtigen nicht entspricht und zu seinem Nachteil entscheidet.
3 Anwendungsbereich
3.1 Die tatsächliche Verständigung kommt insbesondere in Fällen in Betracht, in denen ein
- Schätzungsspielraum,
- Bewertungsspielraum,
- Beurteilungsspielraum oder
- Beweiswürdigungsspielraum
besteht.
3.2 Die tatsächliche Verständigung unterscheidet sich von der verbindlichen Auskunft dadurch, daß sie sich ausschließlich auf abgeschlossene Sachverhalte bezieht.
4 Verfahren
4.1 Die Beteiligten müssen zu einer abschließenden Regelung befugt sein.
4.1.1 Wird der Steuerpflichtige vertreten, muß eine entsprechende Vollmacht vorliegen. Eine uneingeschränkte Vollmacht gem. § 80 Abs. 1 Satz 2 AO umfaßt auch die Befugnis zu einer tatsächlichen Verständigung.
4.1.2 Auf Seiten des Finanzamts muß der für die Entscheidung über die Steuerfestsetzung zuständige Amtsträger beteiligt sein (vgl. BFH-Urteil vom 5.10.1990 a.a.O.). Das ist regelmäßig der Vorsteher, daneben der zuständige Sachgebietsleiter des Veranlagungsbereichs oder der für die Außenprüfung zuständige Sachgebietsleiter, wenn diese Stelle die Prüfungsfeststellungen selbst auswertet (veranlagende Außenprüfung); unter Umständen kommt auch der Sachgebietsleiter der Rechtsbehelfsstelle in Betracht, soweit die Verständigung im Rechtsbehelfsverfahren getroffen wird.
War an der tatsächlichen Verständigung ein für die Entscheidung über die Steuerfestsetzung zuständiger Amtsträger nicht beteiligt, kann dieser Mangel nicht durch nachträgliche Zustimmung geheilt werden (vgl. BFH-Urteil vom 28.7.1993, XI R 68/92, BFH/NV 1994 S. 290).
4.3 Eine tatsächliche Verständigung soll sich nach Möglichkeit nur auf einen einzelnen Sachverhalt beziehen. Sollen tatsächliche Verständigungen über mehrere Sachverhalte herbeigeführt werden, sind in der Regel auch mehrere, voneinander unabhängige tatsächliche Verständigungen anzustreben. Im Hinblick auf den denkbaren Einwand des Wegfalls der Geschäftsgrundlage sollten „Paketlösungen” (Einzelregelungen, die in ihrem Bestand voneinander abhängig gemacht werden) nur dann erwogen werden, wenn eine Klärung der offenen Sachverhaltsfragen nur auf diesem Wege erreicht werden kann.
4.4 Nach der Rechtsprechung des BFH (Urteil vom 31.7.1996, XI R 78/95, BStBl 1996 II S....