Leitsatz
1. Die Voraussetzungen der Wirksamkeit einer tatsächlichen Verständigung werden im Verfahren über die Anfechtung des hierauf gestützten Festsetzungs- oder Feststellungsbescheids inzident geprüft.
2. Eine tatsächliche Verständigung stellt keinen Verwaltungsakt i.S. der §§ 41 Abs. 2 Satz 2 FGO, 118 Satz 1 AO dar.
3. Hat der Steuerpflichtige die auf eine tatsächliche Verständigung gestützten Festsetzungs- und Feststellungsbescheide mangels Einlegung eines Einspruchs bestandskräftig werden lassen, ist bei einer auf Feststellung der Unwirksamkeit der tatsächlichen Verständigung gerichteten Klage auch dann die Subsidiaritätsklausel des § 41 Abs. 2 Satz 1 FGO zu beachten, wenn der Steuerpflichtige die tatsächliche Verständigung mit einem Einspruch angreift und das Finanzamt diesen als unzulässig verwirft.
Normenkette
§ 118, § 347, § 366 AO, § 115 Abs. 2 Nr. 3, § 41, § 44, § 47 FGO
Sachverhalt
Der Kläger betrieb in den Jahren 2009 bis 2013 einen Gebrauchtwagenhandel. Nach einer Steuerfahndungs- und Betriebsprüfung wurden verschiedene Entwürfe einer tatsächlichen Verständigung erarbeitet und mit dem Kläger und seinem Berater besprochen.
In einer erneuten Besprechung am 13.6.2014, an der nur der Kläger persönlich und drei Finanzbeamte teilnahmen, kam es zu einer Einigung über verschiedene Besteuerungsgrundlagen, die im Juli 2014 durch bestandskräftig gewordene geänderte Bescheide zur Einkommensteuer, zum Gewerbesteuermessbetrag und zur Umsatzsteuer umgesetzt wurde.
Im September 2014 legte der Kläger Einspruch gegen die tatsächliche Verständigung ein, den er damit begründete, dass ihm eine Steuernachzahlung von 1 Mio. EUR, eine Vernichtung seiner Existenz und eine Haftstrafe angedroht und er zur Unterschrift erpresst worden sei. Das FA verwarf den Einspruch mangels Verwaltungsaktsqualität der tatsächlichen Verständigung.
Das FG wies die Klage als unzulässig ab (FG Münster, Urteil vom 5.8.2016, 4 K 212/15 E, G, U). Es hielt sowohl den auf Feststellung der Unwirksamkeit der tatsächlichen Verständigung gerichteten Hauptantrag als auch den Hilfsantrag, die angefochtenen Bescheide dahingehend zu ändern, dass der Besteuerung nicht die tatsächliche Verständigung zugrunde gelegt werde, für unzulässig und ließ die Revision nicht zu.
Entscheidung
Der BFH wies die Nichtzulassungsbeschwerde zurück, die der Kläger damit begründet hatte, dass das FG verfahrensfehlerhaft durch Prozess- statt durch Sachurteil entschieden hatte.
Hinweis
Der Beschluss zeigt, wie gegen eine tatsächliche Verständigung (nicht) vorzugehen ist.
1. Eine tatsächliche Verständigung ist kein Verwaltungsakt (§ 118 Satz 1 AO), denn ihre Verbindlichkeit folgt nicht aus einer einseitigen Regelungsbefugnis der Behörde, sondern dem Grundsatz von Treu und Glauben. Daher kann ein Streit über ihr wirksames Zustandekommen oder ihren Inhalt nicht durch Einspruch gegen die Verständigung oder z.B. gegen das Bestätigungsschreiben des FA geklärt werden.
Der Steuerpflichtige hat stattdessen die auf der (vermeintlichen) Verständigung beruhenden Bescheide anzufechten. Die Wirksamkeit einer tatsächlichen Verständigung und damit ihre Bindungswirkung wird dann im Verfahren über die Anfechtung des Festsetzungs- oder Feststellungsbescheids inzident geprüft. Dabei wird z.B. auch entschieden, ob die Erklärungen der Beteiligten nach bürgerlich-rechtlichen Regelungen über Willenserklärungen, z.B. wegen Irrtums, Täuschung oder Drohung (§§ 119, 123 BGB), unwirksam oder anfechtbar sind.
Sofortiger Widerspruch bei falscher Bestätigung sinnvoll
Wenn das FA den Inhalt der tatsächlichen Verständigung falsch bestätigt, sollte trotzdem sofort widersprochen werden. Dem Widerspruch mag eine rechtliche Wirkung fehlen (evtl. Irrtumsanfechtung?), aber er kann das FA u.U. vom Erlass entsprechender Bescheide abhalten. Ein umgehender Widerspruch wird auch das FG eher am Inhalt der vom FA behaupteten Verständigung zweifeln lassen als ein Bestreiten erst nach Erlass der Bescheide.
2. Hat der Steuerpflichtige die Anfechtung der aufgrund der tatsächlichen Verständigung ergangenen Bescheide versäumt, kann er nicht stattdessen Einspruch gegen die tatsächliche Verständigung einlegen und nach dessen Zurückweisung innerhalb der Frist des § 47 FGO Feststellungsklage erheben. Denn die Zulassung der Feststellungsklage würde § 41 Abs. 2 Satz 1 FGO zuwiderlaufen, weil diese gegenüber Gestaltungs- und Leistungsklagen subsidiär ist.
Link zur Entscheidung
BFH, Beschluss vom 12.6.2017 – III B 144/16