Ja, in begründeten Einzelfällen. Der Fremdvergleichstest soll nun zweistufig erfolgen. In einem ersten Schritt ist die konzerninterne Geschäftsbeziehung samt den wirtschaftlich erheblichen Charakteristika ("economically relevant characteristics") bzw. Fremdvergleichsfaktoren zu identifizieren. In einem zweiten Schritt werden diese Charakteristika der konzerninternen Transaktion mit denen verglichen, wie sie fremde Dritte vereinbaren würden. Es geht der OECD darum, dass die tatsächlich durchgeführte konzerninterne Transaktion möglichst gut beschrieben wird, um sie auf Fremdüblichkeit testen zu können. Hierbei soll der zugrunde liegende Vertrag zwar der "Startpunkt" ("starting point" Kapitel I, Tz. 1.42) sein, allerdings gilt weiterhin der Grundsatz "substance over form". D. h. fremdvergleichswidrige Vertragsgestaltungen, ein Auseinanderfallen von Risikoallokation und tatsächlicher Entscheidung über Risiken, ein Auseinanderfallen von Ergebnisallokation und tatsächlicher Wertschöpfungsallokation soll laut OECD von den Finanzverwaltungen aufgegriffen und recharakterisiert werden. Details hierzu ergeben sich aus dem o. g. Abschnitt zu "D.1.2: Funktions-/Risiko-/Wertschöpfungsanalyse", der u. a. den sechsstufigen Prüfungsansatz erläutert.
Allerdings sollen die Finanzverwaltungen eine konzerninterne Transaktion nicht bereits deswegen recharakterisieren, weil sie nicht unter fremden Dritten beobachtet werden kann. D. h. im Ergebnis geht es nicht darum, ob diese Transaktion unter fremden Dritten existiert, sondern ob sie fremdüblich sein könnte:
"Importantly, the mere fact that the transaction may not be seen between independent parties does not mean that it should not be recognised. Associated enterprises may have the ability to enter into a much greater variety of arrangements than can independent enterprises, and may conclude transactions of a specific nature that are not encountered, or are only very rarely encountered, between independent parties, and may do so for sound business reasons." Sowie: "The key question in the analysis is whether the actual transaction possesses the commercial rationality of arrangements that would be agreed between unrelated parties under comparable economic circumstances, not whether the same transaction can be observed between independent parties."
In diesem Zusammenhang sei zudem darauf hingewiesen, dass nach Auffassung des Bundesfinanzhofes Verträge bei einem zivilrechtlich wirksamen Abschluss grundsätzlich auch für steuerliche Zwecke anzuerkennen sind. Umqualifizierungen von Verträgen bzw. Vertragsbedingungen sind somit nach ständiger Rechtsprechung nur in Ausnahmefällen und unter engen Voraussetzungen möglich (insbesondere in Missbrauchsfällen, z. B. wenn beide Parteien von Anfang nicht die Absicht hatten, den Vertrag entsprechend der vereinbarten Bedingungen zu erfüllen). Die (weite) Auslegung des Fremdvergleichsgrundsatzes seitens der OECD ist somit nicht im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes. Jedoch scheint sich auch der deutsche Gesetzgeber künftig stärker an den OECD-Vorgaben orientieren zu wollen, da in der Gesetzesbegründung zum neuen § 1 Abs. 3 AStG ausgeführt wird, dass bei der Berücksichtigung von vertraglichen Bedingungen entscheidend auf das tatsächliche Verhalten der an dem jeweiligen Geschäftsvorfall Beteiligten abzustellen sei. Welche Auswirkungen sich genau daraus ergeben, bleibt indes abzuwarten.