Sofern keine Engpässe vorliegen, ist die optimale Verkaufsmenge dann gegeben, wenn die Grenzkosten den Grenzerlösen entsprechen. Das maximiert die Differenz aus Gesamterlösen und Gesamtkosten. Diese betriebswirtschaftliche Regel, die allgemein auf jede Anbieter-Kunden-Beziehung zutrifft, lässt sich auch auf die Beziehungen innerhalb eines Unternehmens anwenden. Das Servicecenter wird bereit sein, solange zu liefern, wie ihre Erlöse je Einheit größer als die Kosten sind. Beim Kunden ist es genau umgekehrt. Sein Nutzen bestimmt die Preisbereitschaft. Mit steigenden Kosten sinkt sein Vorteil aus dem Bezug der Leistung. Deshalb ist das Optimum exakt bei den ›Grenzkosten = Grenzerlösen‹ erreicht. Wegen seiner Wichtigkeit soll es betont werden: Es sind ausdrücklich die ›Kosten einer zusätzlichen Einheit‹ gemeint. Ein anderer in der Praxis gebräuchlicher Begriff lautet ›proportionale Kosten‹. Diese sind nicht mit ›beeinflussbaren‹ Kosten zu verwechseln. Insofern ist der Begriff der ›variablen‹ Kosten missverständlich und wird in diesem Buch bewusst vermieden. Der Leser aus dem Steuerbereich, dem diese Unterscheidung möglicherweise fremd ist, möge sich für die Ermittlung der Grenzkosten an den Controllerservice wenden, wo diese Thematik Standardwissen sein sollte.
Die Kostenentwicklung in Abhängigkeit von der Leistungsmenge ist meist nicht linear. Ohne die Kenntnis der Ausbringungsmenge, der Art der Leistungserstellung (z. B. Häufigkeit und zeitliche Verteilung der Leistung) usw. können die Grenzkosten nicht bestimmt werden. Diese Aussage gilt in besonderer Weise für eine Konzernzentrale fern der operativen Prozesse. Sie kann die Richtigkeit der Plandaten nur schwer beurteilen. Daraus ergibt sich ein Anreizproblem beim Servicecenter. Durch den ›Verrechnungspreis Grenzkosten‹ entsteht auf der leistenden Kostenstelle zwangsläufig eine Kostenunterdeckung in Höhe der Strukturkosten.
Der Zielmaßstab für den Servicecenter-Leiter lautet folgerichtig: Einhaltung einer Kostenunterdeckung in Höhe der fixen Kosten. Das ist sachlich sinnvoll, aber von vielen Managern nicht gewünscht. Insbesondere die Leiter eines solchen Centers tun sich schwer damit, dass eine Unterdeckung von z. B. 100.000 EUR (vereinfacht angenommen: wie geplant) eine gute Leistung darstellt. Einen vermeintlichen ›Profit‹ gemacht zu haben, z. B. in Form eines Quasi-DBs, klingt vermutlich nicht nur besser, sondern lässt sich auch in Bonusgesprächen leichter kommunizieren.
Da der interne Kunde die Leistung zu Teilkosten verrechnet bekommt, er also günstige Einkaufspreise erhält, hat er eine hohe Flexibilität gegenüber seinen Kunden. Es gibt aber auch Nachteile. Die Gesamtnachfrage nach Leistungen wird tendenziell höher ausfallen als bei den übrigen Verrechnungspreis-Varianten. Grenzkosten sind der geringstmögliche Preis und auf ›Sonderangebote‹ reagieren die meisten Menschen bekanntlich mit einem Kaufimpuls. Dieser Effekt schwächt sich, wenn man sich daran gewöhnt hat, jedoch ab. Ein weiterer Nachteil dieser Varianten besteht darin, dass eine äußerst sensible Information quasi ›öffentlich‹ gemacht wird. Grenzkosten sind eine der drei sogenannten Preisuntergrenzen. Im Zusammenhang mit Personalfluktuation kann diese Information zum Wettbewerb gelangen. Besondere Relevanz bekommt das Argument daher bei Services, die dicht am externen Kunden sind.
Daneben besteht die Frage, wie verlässlich die Grenzkosten sind. Der Servicecenter-Leiter könnte versucht sein, Kostenverschiebungen vorzunehmen. Wenn es ihm gelingt, leistungsmengenunabhängige Kosten als leistungsabhängig zu deklarieren, erleichtert er sich im Jahresverlauf die Zielerreichung. Mit einem überhöhten Produktkosten-Satz als Plan-Verrechnungspreis werden kontinuierlich anteilige Strukturkosten verrechnet. Mit diesem ›Puffer‹ wird die Zielerreichung leichter. Insbesondere bei nicht-linearen Kostenverläufen ist ein solches Vorgehen nur mit viel Aufwand nachzuweisen. Der Controller muss sehr mit der Art der Leistungserstellung vertraut sein. Im Falle der Fertigung sind Kenntnisse über Maschinenbelegungen und -laufzeiten, über Fertigungslose und Rüstkosten usw. erforderlich. Entsprechend ist bei Dienstleistungen eine intensive Prozesskenntnis erforderlich. Es bedarf in der Einführungsphase einer intensiven Begleitung durch die Controllingabteilung.
Die gerade kennengelernte Grenzkostenvariante führt bei fairer Mitarbeit der leistungserbringenden Einheit zum kurzfristigen Optimum des Unternehmens. Mit anderen Worten: Unter unveränderten Rahmenbedingungen wird das maximale (Vorsteuer-)Ergebnis erreicht. Diese Verrechnungsmethode setzt jedoch zugleich – wie oben beschrieben – einen Anreiz, nicht fair zu handeln. Das wird noch verschärft, wenn es um Verfahrensentscheide geht. Unterjährig ist das Verfahren der Leistungserbringung gegeben und im Standard festgeschrieben. Wenn es aber um organisatorische Änderungen der Prozesse der Leistungserstellung oder gar um Investitionen bzw. Desinvestition geht, dann besteht wiederu...