Leitsatz
1. Veräußert ein Steuerpflichtiger den Anteil an einem Mitunternehmeranteil, ist der dabei erzielte Veräußerungsgewinn bis zum In-Kraft-Treten des § 16 Abs. 1 Nr. 2 EStG i.d.F. des Gesetzes zur Fortentwicklung des Unternehmenssteuerrechts vom 20.12.2001 steuerbegünstigt (Anschluss an BFH, Urteil vom 14.9.1994, I R 12/94, BStBl II 1995, 407; BFH, Beschluss vom 18.10.1999, GrS 2/98, BStBl II 2000, 123).
2. Die zweistufige Gründung einer Sozietät stellt sich regelmäßig dann nicht als Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten dar, wenn zwischen dem Vertrag über die Aufnahme des Sozius in die Einzelpraxis und dem über die Erhöhung des Anteils ein Zeitraum von mindestens einem Jahr liegt und wenn sich nicht mindestens einer der Vertragschließenden bei Gründung der Sozietät unwiderruflich verpflichtet hat, einen weiteren Anteil zu erwerben bzw. zu veräußern.
Normenkette
§ 16 Abs. 3 EStG , § 18 Abs. 3 EStG , § 34 EStG
Sachverhalt
Ein Rechtsanwalt nahm mit Wirkung vom 1.1.1997 eine angestellte Anwältin in seiner Einzelpraxis auf. Er räumte ihr zunächst einen Anteil von 5 % ein. Ein Jahr später wurde die Beteiligung auf 40 % aufgestockt. Der Wert der Anteile wurde nach den Umsatzerwartungen Anfang 1997 bemessen. Die neue Gesellschafterin zahlte den vereinbarten Preis für die erste Beteiligung erst im Juni, für die Aufstockung dagegen bereits im Dezember.
Das FA behandelte beide Erlöse aus Anteilsverkäufen als laufenden Gewinn des Streitjahrs 1997, während die Anwälte den Gewinn aus der Aufstockung der Beteiligung als begünstigten Veräußerungsgewinn ansahen.
Entscheidung
Der BFH gab der Auffassung der Anwälte Recht und hob das anders lautende FG-Urteil auf. Die Aufstockung sei als Veräußerung eines Teilmitunternehmeranteils zu würdigen. Eine solche Veräußerung sei bis Ende 2001 als begünstigt anzusehen. Dass die Aufstockung innerhalb eines Jahres nach der Aufnahme der Gesellschafterin mit einem kleinen Anteil durchgeführt worden sei, sei nicht im Sinn von § 42 AO missbräuchlich.
Hinweis
1. Die Entscheidung hat für die Gestaltungsberatung keine aktuelle Bedeutung mehr. Sie betrifft die Rechtslage für Veräußerungen, die vor dem 1.1.2002 erfolgt sind. Für spätere Veräußerungsvorgänge gilt § 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. Satz 2 EStG in seiner jetzigen Fassung. Danach führt die Veräußerung eines Teilmitunternehmeranteils heute immer zu einem laufenden Gewinn. Es werden deshalb weder der Freibetrag nach § 16 Abs. 4 EStG noch einer der ermäßigten Steuersätze des § 34 EStG gewährt.
2.Vor In-Kraft-Treten der heutigen Regelung enthielt das EStG keine besondere Bestimmung zu Gewinnen aus der Veräußerung von Teilmitunternehmeranteilen. Das Gesetz verwendete nur den Begriff "Mitunternehmeranteil". Unter diesem Begriff hatte der BFH in Anlehnung an die frühere Rechtsprechung des RFH nicht nur den ganzen Mitunternehmeranteil, sondern auch den Bruchteil eines Mitunternehmeranteils verstanden. Erstmals mit der im ersten Leitsatz genannten Entscheidung des Großen Senats vom 18.10.1999 gab der BFH zu erkennen, dass er diese Gesetzesauslegung nicht mehr für zutreffend hielt. Denn die Tarifbegünstigung solle nur gewährt werden, wenn alle stillen Reserven in der Beteiligung auf einmal aufgedeckt werden, also nur bei der Veräußerung der ganzen Beteiligung. Förmlich musste der Große Senat die bisherige Rechtsprechung aber nicht aufgeben, weil es im damaligen Streitfall nur um eine Ausweitung der bisherigen Rechtsprechung auf die Aufnahme des ersten Gesellschafters ging.
Die Finanzgerichte entnahmen aus dem Beschluss des Großen Senats zum Teil, dass ab sofort die Teilanteilsveräußerung nicht mehr begünstigt sei. Mit dem Besprechungsurteil hat sich der BFH vor allem im Hinblick auf die zwischenzeitliche Gesetzesänderung entschlossen, die althergebrachte Rechtsprechung nicht mehr aufzugeben, sondern weiter auf alle Veräußerungen vor dem 1.1.2002 anzuwenden.
3. Auch die Ausführungen des BFH zu der Frage, ob das so genannte Zwei-Stufen-Modell als Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten i.S.d. § 42 AO zu beurteilen ist, haben nur noch Bedeutung für die anhängigen Altfälle. Danach liegt kein Missbrauch vor, wenn
- zwischen der ersten Stufe (Aufnahme des Gesellschafters) und der zweiten Stufe (Aufstockung der Beteiligung) ein Zeitraum von mindestens einem Jahr, bezogen auf den Geltungszeitpunkt der betreffenden Vereinbarungen, liegt und
- keiner der Vertragsbeteiligten sich bei Abschluss des Vertrags über die erste Stufe schon hinsichtlich der zweiten Stufe gebunden hat.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 16.9.2004, IV R 11/03