rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Anspruch eines potentiellen Haftungsschuldners auf kostenlose Akteneinsicht im Wege der einstweiligen Anordnung durch das FG. Überwachung der Akteneinsicht durch Behördenpersonal ist untrennbarer Teil der Akteneinsicht. Kostenpflicht bei Fertigung von Kopien i. R. d. Akteneinsicht
Leitsatz (redaktionell)
1. Beantragt der potenzielle Haftungsschuldner kostenfreie Akteneinsicht im Rahmen des Haftungsprüfungsverfahren und teilt ihm die Finanzbehörde darauf vorab mit, dass die Akteneinsicht ausgehend von dem Zeitaufwand der Behörde bei der Durchführung der Akteneinsicht kostenpflichtig und unmittelbar im Anschluss an die Akteneinsicht bar zu bezahlen sei, so kann der Steuerpflichtige zulässigerweise im Finanzrechtsweg die Gewährung kostenloser Akteneinsicht im Wege der einstweiligen Anordnung beantragen (im Streitfall: Anordnung einer vorläufig kostenfreien Akteneinsicht durch das Finanzgericht).
2. Da das Verwaltungsverfahren in Steuersachen nach der Abgabenordnung kostenfrei ist, dies auch für die Akteneinsicht in einem Haftungsprüfungsverfahren gilt und es insoweit an einer bundesgesetzlichen Rechtsgrundlage für eine Kostenpflicht der Akteneinsicht fehlt, kann die Kostenpflicht auch nicht auf Landesrecht gestützt werden. Die in den Regelungen der Abgabenordnung zum Ausdruck kommende grundsätzliche Kostenfreiheit des steuerlichen Verwaltungsverfahrens bedingt, dass dies nicht durch landesrechtlich geregelte Verwaltungskostengesetze unterlaufen werden darf.
3. Die Gewährung der Akteneinsicht als Realakt lässt sich weder tatsächlich noch rechtlich vom Realakt der Überwachung der Akteneinsicht trennen und erfolgt damit wie die Akteneinsicht selbst und untrennbar von ihr im Haftungsprüfungsverfahren als Besteuerungsverfahren.
4. Die „Überwachung” der Akteneinsicht durch Personal der Behörde stellt sich auch nicht als Dienstleistung der Behörde gegenüber dem Steuerpflichtigen dar, sondern erfolgt vielmehr im Eigeninteresse der Behörde, um z. B. zu gewährleisten, dass der Nehmer der Akteneinsicht nicht unberechtigt Aktenbestandteile entfernt, verändert, beschädigt oder Teile hinzufügt.
5. Soweit das FA bei der Akteneinsicht Kopien für den Steuerpflichtigen fertigt, wird die Behörde nicht im Rahmen der Akteneinsicht nach der AO tätig, sondern, wie es bei jeder anderen Behörde auch der Fall wäre, als „Kopierstelle” außerhalb des Besteuerungsverfahrens, wofür das FA Auslagenersatz verlangen darf.
Normenkette
AO §§ 91, 191 Abs. 1, § 69; GmbHG § 64; FGO § 33 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, § 114 Abs. 1 Sätze 1-2; Thüringer Verwaltungskostengesetz § 1 Abs. 1, 6, §§ 12, 21 Abs. 1 S. 1; GG Art. 31, 19 Abs. 4, Art. 20 Abs. 3, Art. 103 Abs. 1
Tenor
1. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller im Haftungsverfahren 162/198/11350 Haf 147/2010 VO 6 Akteneinsicht zunächst ohne entsprechende Auferlegung einer Verwaltungsgebühr zu gewähren.
2. Die Kosten des Verfahrens hat der Antragsgegner zu tragen.
Tatbestand
I.
Streitig ist, ob dem Antragsteller im Wege der einstweiligen Anordnung kostenlose Akteneinsicht zu gewähren ist.
Der Antragsgegner prüft die Haftungsinanspruchnahme des Antragstellers nach § 191 Abs. 1 AO i. V. m. §§ 69 AO, 64 GmbHG. Im Rahmen des Haftungsprüfungsverfahrens beantragte der Antragsteller die kostenfreie Akteneinsicht. Der Antragsgegner erklärte sich zur Gewährung der Akteneinsicht bereit, machte aber ausweislich seines Schreibens vom 29.06.2011 bereits im Vorfeld darauf aufmerksam, „dass die Akteneinsicht kostenpflichtig und unmittelbar im Anschluss an die Akteneinsicht bar zu bezahlen” sei.
Die „Taxe” für die Akteneinsicht bemisst sich nach telefonischer Auskunft des Antragsgegners nach Zeitaufwand und beträgt bis zu EUR 15,00 pro Viertelstunde, in der ein Amtsträger die Akteneinsicht beaufsichtigt.
Unabhängig von den Kosten für etwaige im Rahmen der Akteneinsicht gefertigte Kopien, gegen deren Auferlegung sich der Antragsteller ausdrücklich nicht wendet, forderte der Antragsteller den Antragsgegner mit Schreiben vom 15.08.2011 auf, zu erklären, von der aus Sicht des Antragstellers rechtswidrigen Kostenforderung für die Akteneinsicht Abstand zu nehmen. Dies lehnte der Antragsgegner ab.
Der Antragsteller verfolgt sein Begehren im Wege eines Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung weiter. Hinsichtlich der Gründe wird auf die Antragsschrift vom 06.09.2011 sowie die Schreiben des Prozessbevollmächtigten des Antragstellers vom 14.10.2011 und vom 06.12.2011 verwiesen.
Der Antragssteller beantragt,
dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, dem Antragsteller im Haftungsverfahren 162/198/11350 Haf 147/2010 VO 6 Akteneinsicht zu gewähren, zunächst ohne dem Antragsteller für die Akteneinsicht Kosten aufzuerlegen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzuweisen.
Er macht geltend, der Antrag sei unzulässig. Soweit sich der Antrag des Antragstellers gegen den vom Antragsgegner mit Schreiben vom 29.06.2011 getroffenen Hin...