Entscheidungsstichwort (Thema)
Nicht mutwillig in Kauf genommene Gerichts- und Anwaltskosten im Rahmen einer Ehescheidung im Veranlagungszeitraum 2011 in vollem Umfang als außergewöhnliche Belastungen abziehbar
Leitsatz (redaktionell)
1. Die Möglichkeit der Abzugsfähigkeit von Ehescheidungskosten (Anwalts- und Gerichtskosten) als außergewöhnliche Belastungen ist nicht auf Fälle des sog. Zwangsverbundes zwischen Ehescheidung und Versorgungsausgleich begrenzt, sondern erstreckt sich auch auf andere mit der Scheidung zusammenhängende Kosten, z. B. die Kosten für Scheidungsfolgesachen (vermögensrechtliche Regelungen, Ehegatten- und Kindesunterhalt, Umgangs- und Sorgerecht), sofern sich der Steuerpflichtige nicht mutwillig oder leichtfertig auf den Prozess eingelassen hat.
2. Zivilprozesskosten sind nicht unausweichlich, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung aus Sicht eines verständigen Dritten keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Da die Begriffe der „hinreichenden Aussicht auf Erfolg” und der fehlenden „Mutwilligkeit/Leichtfertigkeit” mit den im Prozesskostenhilferecht in § 114 ZPO verwendeten Formulierungen vergleichbar sind, kann für deren Auslegung auf die hierzu bereits vorhandene Rechtsprechung und Literatur zurückgegriffen werden.
Normenkette
EStG § 33 Abs. 1, 2 S. 1 Fassung 2011; ZPO § 114
Nachgehend
Tenor
1. Der Einkommensteuerbescheid 2011 vom 11.02.2013 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 14.11.2013 wird dahingehend geändert, dass die Einkommensteuer 2011 unter Berücksichtigung von anerkennungsfähigen außergewöhnlichen Belastungen in Höhe von 13.177 Euro herabgesetzt wird. Die nähere Berechnung der Einkommensteuer 2011 wird dem Beklagten übertragen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren wird für notwendig erklärt.
3. Die Kosten des Verfahrens hat die Klägerin zu 71 v.H. und der Beklagte zu 29 v.H. zu tragen.
4. Das Urteil ist wegen der vom Beklagten zu tragenden Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Hinterlegung oder Sicherheitsleistung in Höhe des Kostenerstattungsanspruchs der Klägerin abwenden, wenn nicht die Klägerin vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
5. Die Revision wird zugelassen.
Der Streitwert wird auf 12.162,51 EUR festgesetzt.
Tatbestand
Streitig ist die Anerkennung von Anwalts- und Gerichtskosten in Zusammenhang mit Scheidungsfolgesachen (Zugewinnausgleich etc.) als außergewöhnliche Belastungen nach § 33 EStG.
Die Klägerin machte in ihrer ESt-Erklärung 2011 u.a. Gerichts- und Rechtsanwaltskosten als Scheidungskosten i.H.v. insgesamt 13.177,03 Euro als außergewöhnliche Belastungen geltend, die sich wie folgt zusammensetzten:
Gerichtskosten |
879,00 Euro |
(vgl. Bl. 28 der FA-Akte) |
Grundbuch |
70,50 Euro |
(vgl. Bl. 41 der FA-Akte) |
Grundbuch |
176,25 Euro |
(vgl. Bl. 42 der FA-Akte) |
RA AAA |
412,22 Euro |
(vgl. Rechnung vom 07.11.2011 wegen Pfändung, Bl. 30 der FA-Akte) |
RA AAA |
10.801,54 Euro |
(vgl. Rechnung vom 19.07.2011 wegen Zugewinnausgleich, Bl. 32/33 der FA-Akte) |
RA AAA |
837,52 Euro |
(vgl. Rechnung vom 11.07.2011 wegen Nutzungsentschädigung, Bl. 39 der FA-Akte) |
Summe: |
13.177,03 Euro |
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Mit Einkommensteuerbescheid 2011 vom 11.02.2013 erkannte der Beklagte diese Aufwendungen als bloße Scheidungsfolgekosten mangels Zwangsläufigkeit nicht als außergewöhnliche Belastung an. Dagegen berücksichtigte er die reinen Scheidungskosten in Höhe von 3.826,64 Euro (vgl. Rechnung RA AAA vom 01.09.2011: 2.441,48 Euro wegen Ehescheidung, vgl. Bl. 36/37 der FA-Akte; Rechnung AAA vom 23.08.2011, Bl. 40 der FA-Akte).
Im Rahmen ihres am 18.02.2013 hiergegen gerichteten Einspruchs machte die Klägerin geltend, dass ihr die Scheidungskosten zwangsläufig erwachsen seien und verwies auf die neuere BFH-Rechtsprechung.
Am 11.10.2013 erhob die Klägerin Untätigkeitsklage vor dem Finanzgericht. Der Beklagte habe den Einspruch über sieben Monate ohne Mitteilung eines sachlichen Grundes nicht verbeschieden.
Am 14.11.2013 erließ der Beklagte im Rahmen des Klageverfahrens eine Einspruchsentscheidung, mit der er den Einspruch der Klägerin als unbegründet zurückwies.
Im Klageverfahren macht die Klägerin geltend: Die geltend gemachten Anwalts- und Gerichtskosten stünden in Zusammenhang mit einer aufgrund geänderter familienrechtlicher Gesetzeslage 2009 nunmehr auch vorzeitig zu beanspruchenden Auskunft über den Vermögensbestand, Einkommen und Aufstockungsunterhalt sowie letztlich in Zusammenhang mit der Ehescheidung samt Zugewinn selbst.
Nach der jüngeren Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs, welche von den Finanzgerichten fortgeführt werde, seien Prozesskosten unabhängig vom Gegenstand des Prozesses aus rechtlichen Gründen zwangsläufig, soweit die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg biete und nicht mutwillig erscheine.
So liege der Fall hier. Die Prozesskosten seien notwendig und angemessen gewe...