Entscheidungsstichwort (Thema)
Berücksichtigung der Inanspruchnahme aus einer vor Eintritt der Krise der GmbH übernommenen und in der Krise stehen gelassenen Gesellschafterbürgschaft für Verbindlichkeiten der GmbH als nachträgliche Anschaffungskosten im Sinne des § 17 Abs. 2 EStG und § 17 Abs. 4 EStG
Leitsatz (redaktionell)
1. Durch das am 1.11.2008 in Kraft getretene Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG) vom 23.10.2008 ist das Eigenkapitalersatzrecht, das durch eine weitgehende Gleichbehandlung der eigenkapitalersetzenden Finanzierungsleistungen mit dem nach §§ 30, 31 GmbHG gebundenen Kapital gekennzeichnet war, aufgehoben und ersetzt worden durch den gesetzlichen Nachrang sämtlicher Gesellschafterfinanzierungen im Insolvenzfall (vgl. Art. 9 MoMiG, § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO). Aufwendungen aus der Inanspruchnahme aus einer Gesellschafterbürgschaft sind unabhängig davon, ob die Bürgschaft krisenbestimmt oder in der Krise der Gesellschaft übernommen worden ist, im zeitlichen Anwendungsbereich des MoMiG grundsätzlich nicht mehr den nachträglichen Anschaffungskosten der Beteiligung im Sinne des § 17 Abs. 2 EStG und § 17 Abs. 4 EStG zuzurechnen.
2. Nach der BFH-Rechtsprechung (vgl. BFH, Urteil v. 11.1.2017, IX R 36/15, BStBl 2019 II S. 208) sind jedoch aus Gründen des Vertrauensschutzes die bisherigen Grundsätze zur Berücksichtigung von nachträglichen Anschaffungskosten aus eigenkapitalersetzenden Finanzierungshilfen weiter anzuwenden, wenn der Gesellschafter eine eigenkapitalersetzende Finanzierungshilfe bis zum Tag der Veröffentlichung dieses Urteils geleistet hat oder wenn eine Finanzierungshilfe des Gesellschafters bis zu diesem Tag eigenkapitalersetzend geworden ist (im Streitfall: Inanspruchnahme aus der Gesellschafterbürgschaft im Jahr 2016). Für den Vertrauensschutz ist dabei auf den Zeitpunkt abzustellen, in dem der Steuerpflichtige die für ihn endgültige wirtschaftliche Disposition getroffen hat.
3. Nach der bisherigen aus Vertrauensschutzgründen weiter anzuwendenden BFH-Rechtsprechung führt die Inanspruchnahme des Gesellschafters aus einer für Verbindlichkeiten der GmbH vor dem Eintritt der Krise der GmbH übernommenen Bürgschaft zu nachträglichen Anschaffungskosten im Sinne des § 17 Abs. 2 EStG und § 17 Abs. 4 EStG, wenn der Gesellschafter die Bürgschaft stehenlässt, obwohl er sie hätte abziehen können und es angesichts der veränderten finanziellen Situation der Gesellschaft absehbar war, dass der Bürgschaftsfall eintreten würde und die Gefahr des Ausfalls mit einer Bürgschaftsregressforderung bestand.
4. Ausnahmsweise kann der Zeitpunkt, in dem der Veräußerungsverlust im Sinne des § 17 Abs. 4 EStG realisiert ist, schon vor Abschluss der Liquidation liegen, wenn mit einer wesentlichen Änderung des bereits festgestellten Verlustes nicht mehr zu rechnen ist. Das ist der Fall, wenn nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der GmbH die Insolvenzverwalter dem Gesellschafter unmittelbar mitgeteilt haben, dieser werde aus der Insolvenzmasse keine Quote (mithin keinerlei Zahlungen) mehr erhalten.
Normenkette
EStG § 17 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1, Abs. 4; HGB § 255 Abs. 1 Sätze 1-2; InsO § 39 Abs. 1 Nr. 5; GmbHG § 60 Abs. 1 Nr. 4
Nachgehend
Tenor
1. Der Bescheid des Beklagten für 2016 über Einkommensteuer vom 01.11.2017 in der Fassung des geänderten Bescheides vom 24.05.2018 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 02.07.2020 wird dahingehend geändert, dass die Einkommensteuer 2016 unter Berücksichtigung eines um 172.199,84 EUR höheren Auflösungsverlustes aus der A-GmbH niedriger festgesetzt wird.
2. Die Kosten des Verfahrens hat der Beklagte zu tragen.
3. Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren wird für notwendig erklärt.
4. Das Urteil ist hinsichtlich der erstattungsfähigen Kosten des Klägers vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festzusetzenden Kosten abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
5. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist, ob der Ausfall von Bürgschaftsregressforderungen (gegen die insolvente Firma A-GmbH) im Nachgang aus der Inanspruchnahme des Klägers aus den im Jahre 2013 eingegangenen selbstschuldnerischen Bürgschaften als nachträgliche Anschaffungskosten im Rahmen des (im Übrigen bereits verbeschiedenen) Auflösungsverlustes gemäß § 17 Absatz 4 EStG Berücksichtigung finden kann.
Der Kläger erzielte im Streitjahr Einkünften aus Gewerbebetrieb sowie aus nichtselbständiger Arbeit. Er war – auch noch im hiesigen Streitjahr 2016 – zu 50 v.H. an der Firma A-GmbH beteiligt; bei dieser GmbH war der Kläger zugleich als Geschäftsführer angestellt. Im Zuge seiner Gesellschafterstellung hatte der Kläger im Jahre 2013 in Umsetzung eines mit den Banken zwecks Ermöglichung weiterer Finanzierungen erörterten „Konsolidierungskonzeptes” aus dem Nove...