rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Prozesszinsen nach Klagerücknahme in Folge des Erlasses von Änderungsbescheiden wegen im Klageverfahren nachgereichter Unterlagen
Leitsatz (redaktionell)
1. Die als Erledigung i. S. d. § 236 Abs. 2 Nr. 1 AO anzusehende Klagerücknahme führt auch dann zu einem Anspruch auf Prozesszinsen, wenn durch die – nach Änderungsbescheiden aufgrund im Klageverfahren nachgereichter Unterlagen erfolgte – Klagerücknahme der Kostenausspruch nach § 137 S. 1 FGO vermieden wird.
2. Der eine Verzinsung verneinende § 236 Abs. 3 AO fordert ausdrücklich eine auf § 137 S. 1 FGO beruhende Kostenentscheidung.
Normenkette
AO § 236 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3; FGO § 137 S. 1, § 72 Abs. 2 S. 2, § 136 Abs. 2
Nachgehend
Tenor
I. Der Ablehnungsbescheid vom 12.01.2011 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 02.05.2011 wird aufgehoben und Prozesszinsen gem. § 236 Abs. 1 Abgabenordnung werden wie folgt festgesetzt:
- Investitionszulage 1993 auf 6.205,00 EUR,
- Investitionszulage 1996 auf 4.284,00 EUR,
- Investitionszulage 1997 auf 26.639,00 EUR,
- Investitionszulage 1999 auf 3.995,00 EUR,
- Investitionszulage 2000 auf 4.335,00 EUR und
- Investitionszulage 2001 auf 41.123,00 EUR.
II. Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der erstattungsfähigen Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 120 % der vollstreckbaren Kosten abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.
IV. Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren wird für notwendig erklärt.
V. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Festsetzung von Prozesszinsen nach § 236 Abgabenordnung (AO) für Investitionszulage für die Jahre 1993 bis 2003.
Gegenstand des bei dem Thüringer Finanzgericht unter dem Aktenzeichen 3 K 326/03 geführten Verfahrens war unter anderem die Gewährung bzw. Rückforderung von Investitionszulage für die Jahre 1993 bis 2001. Die Parteien stritten im Wesentlichen darüber, ob die Verbleibensvoraussetzungen erfüllt waren. Die Klage war am April 2003 bei Gericht eingegangen. Wegen der Einzelheiten wird auf die Klagebegründung verwiesen.
Erstmals mit Schreiben vom August 2003 reichte die Klägerin – unvollständige – Nachweise für das Verbleiben im Fördergebiet ein. Mit Schreiben vom November 2003 teilte die Klägerin mit, dass weitere Unterlagen bei einem Brand vernichtet worden seien. Nachdem die Klägerin mit Schreiben vom März 2004 weitere Unterlagen vorgelegt hatte, fand im Juli 2007 ein erster Erörterungstermin statt. In der Folge reichte die Klägerin im Dezember 2007 weitere Unterlagen ein. In dem sodann bei dem Beklagten durchgeführten zweiten Erörterungstermin im November 2008 erläuterte die Klägerin nochmals den Sachverhalt anhand der im Verfahren nachgereichten Listen und Unterlagen. Daraufhin legte der damalige Berichterstatter dar, dass die Investitionszulage dem Grunde nach zwingend zu gewähren sei. Das Finanzamt sollte daraufhin abhelfen. Im Protokoll des genannten Erörterungstermins war weiterhin festgehalten: ”Im Falle einer Abhilfe könne der Beklagte wegen verspäteter Vorlage der Unterlagen nicht mit Gerichts- und Steuerberaterkosten belastet werden.”
Mit Datum vom Febr. 2009 erließ der Beklagte die Änderungsbescheide über die Investitionszulage für die Jahre 1993 bis 2001. Darin ergaben sich für die Jahre 1993, 1996, 1997, 1999 bis 2001 jeweils Guthaben zu Gunsten der Klägerin. Wegen der Einzelheiten wird auf die Änderungsbescheide verwiesen. Mit gerichtlichem Schreiben vom März 2009 bat der Berichterstatter die Klägerin um Stellungnahme zu den Änderungsbescheiden und regte an, die Klage zurückzunehmen. Wörtlich hieß es weiter: ”Eine Rücknahme scheint zu erwägen!” Daraufhin nahm die Klägerin mit Schreiben vom 31. März 2009 die Klage zurück. Mit Beschluss vom April 2009 wurde das Verfahren nach § 72 Abs. 2 Satz 2 Finanzgerichtsordnung (FGO) eingestellt.
Mit Schreiben vom Dezember 2010 beantragte die Klägerin die Festsetzung von Prozesszinsen nach § 236 AO unter Verweis auf das Klageverfahren 3 K 326/03 und die Änderungsbescheide vom Febr. 2009. Wegen der Einzelheiten wird auf die Berechnungen der Klägerin verwiesen.
Mit Bescheid vom Januar 2011 lehnte der Beklagte diesen Antrag ab. Die in § 236 Abs. 2 Nr. 1 AO geforderte Erledigung liege nicht vor. Eine Klagerücknahme sei keine „Erledigung” in diesem Sinne. Ein Kostenpflichtiger, der einen Kostenausspruch nach § 137 Satz 1 Finanzgerichtsordnung (FGO) durch Klagerücknahme ve rmeide, würde ungerechtfertigt bevorzugt.
Der hiergegen gerichtete Einspruch der Klägerin vom Febr. 2011 blieb erfolglos. In der Einspruchsentscheidung vom Mai 2011, zur Post gelangt am gleichen Tage, wies der Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück. Eine Klagerücknahme sei keine Erledigung im Sinne von § 236 Abs. 2 Nr. 1 AO. Dieses Verstä...