Leitsatz
Einem Bauwerk fehlt die Eigenschaft, einen mehr als nur vorübergehenden Aufenthalt von Menschen zu gestatten, nicht schon deshalb, weil in ihm ein Lärmpegel herrscht, der den Grenzwert nach § 15 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 ArbStättV überschreitet (Klarstellung zum BFH-Urteil vom 30.1.1991, II R 48/88, BStBl II 1991, 618).
Normenkette
§ 68 Abs. 1 Nr. 1 BewG , § 68 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BewG , § 15 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 ArbStättV
Sachverhalt
Die Klägerin unterhält eine Zementfabrikation. In den dafür erforderlichen Bauwerken werden die Grenzwerte für den Lärmpegel nach der ArbStättV überschritten. Dennoch halten sich darin Menschen zur Überwachung des Produktionsablaufs auf. Allerdings müssen sie dabei einen Gehörschutz tragen.
Die Klägerin sieht die Bauwerke unter Berufung auf das BFH-Urteil in BStBl II 1991, 618 nicht als Gebäude, sondern als Betriebsvorrichtungen an. Damit hatte sie beim FG Erfolg. Der BFH war jedoch anderer Ansicht.
Entscheidung
Die Vorschrift des § 15 Abs. 1 Nr. 3 ArbStättV betrifft den Schutz gegen Lärm an Arbeitsplätzen, die den ganzen Arbeitstag über besetzt sind (vgl. amtliche Begründung zu § 15 ArbStättV, abgedruckt bei Ast, Verordnung über Arbeitsstätten, 13. Auflage 1995, Seite 22). Ihr könnte daher nur dann entscheidungserhebliche Bedeutung für die Gebäudeeigenschaft zukommen, wenn unter einem nicht nur vorübergehenden Aufenthalt von Menschen ein Aufenthalt über einen ganzen Arbeitstag hin zu verstehen wäre. Das aber ist mit diesem Gebäudemerkmal nicht gemeint.
Abgesehen davon kann der zu hohe Lärmpegel auch deshalb kein entscheidendes Hindernis für die Gebäudeeigenschaft eines Bauwerks sein, weil die Verwendung von Gehörschutzstöpseln oder Kapselgehörschützern geeignet ist, die Schalleinwirkungen auf das menschliche Ohr unter die zulässige Höchstgrenze nach der ArbStättV zu drücken. Der Gehörschutz hat dabei die Funktion einer Schutzkleidung i.S.d. Gebäuderechtsprechung.
Hinweis
Das im Leitsatz genannte BFH-Urteil betraf Kühlzellen, die jeweils aus der Umschließung mehrerer Gär- und Lagertanks einer Brauerei mit Isolierblechen bestanden. Das Urteil hatte den Kühlzellen die mehr als nur vorübergehende Aufenthaltsmöglichkeit für Menschen – und damit die Gebäudeeigenschaft – "infolge des Zusammenwirkens mehrerer Faktoren" abgesprochen. Die Faktoren waren der Lärm und die niedrige Temperatur, wobei diese Faktoren dadurch zusammenhingen, dass die Kaltluftventilatoren den Lärm erzeugten. Der BFH hatte damals zunächst die Rechtsprechung zum Gebäudemerkmal der Möglichkeit eines nicht nur vorübergehenden Aufenthalts von Menschen und zur Bedeutung, die dabei einer Schutzkleidung zukommt, wiedergegeben; dann aber bei Heranziehung der ArbStättV einen Gehörschutz unerwähnt gelassen.
Daraus hatten mehrere FG gefolgert, dass das bloße Überschreiten der Lärmgrenzwerte nach der ArbStättV der Gebäudeeigenschaft entgegenstehe und es bedeutungslos sei, ob man sich mit einem Gehörschutz gegen den Lärm abschirmen kann (vgl. die Urteile des FG Berlin vom 27.11.1996, II R 396/91, EFG 1997, 595; des FG des Landes Brandenburg vom 15.3.2001, 2 K 355/99 BG, EFG 2001, 671 sowie des FG Düsseldorf vom 7.11.2002, 11 K 4981/99 BG). Dies bedurfte der Klarstellung durch die vorliegende Entscheidung. Im Ergebnis ist das Urteil aus dem Jahr 1991 richtig; dies ergibt sich schon daraus, dass die Kältemaschinen für einen nicht nur vorübergehenden Aufenthalt von Menschen abgeschaltet werden mussten.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 15.6.2005, II R 67/04