Leitsatz
Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens kann der Gemeinschuldner durch Rechtsgeschäfte keine Masseverbindlichkeit mehr begründen. Dies ist dem Insolvenzverwalter vorbehalten. Beginnt der Gemeinschuldner nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens eine neue gewerbliche Tätigkeit und fällt im Rahmen dieser neuen gewerblichen Tätigkeit Umsatzsteuer an, so schuldet diese nicht der Insolvenzverwalter, sondern der Gemeinschuldner. Auch insoweit entsteht keine Masseverbindlichkeit.
Sachverhalt
Mit Beschluss vom 31.3.2000 hatte das Amtsgericht A-Stadt das Insolvenzverfahren über das Vermögen des A., Inhaber des Bauunternehmens X eröffnet und dem A. untersagt, über sein Vermögen zu verfügen und den klagenden Rechtsanwalt zum Insolvenzverwalter bestimmt. Dieser nahm den Betrieb des Gewerbes nicht wieder auf und meldete es mit Schreiben vom 25.7.2000 ab. Der Gemeinschuldner selbst meldete zum 1.1.2001 ein neues Gewerbe in B-Stadt an und betrieb dieses auch. Das Finanzamt teilte eine Steuernummer zu, unter der der Gemeinschuldner auch Umsatzsteuervoranmeldungen abgab. Das insoweit vom Gemeinschuldner erworbene Neuvermögen führte er allerdings nicht an die Masse ab. Mit Bescheid vom 2.5.2002 setzte das Finanzamt B-Stadt (FA) gegenüber dem Insolvenzverwalter für das Jahr 2002 eine Umsatzsteuer-Sondervorauszahlung fest. Der hiergegen eingelegte Einspruch hatte keinen Erfolg. Da der Neuerwerb des Schuldners während des Insolvenzverfahrens gem. § 35 InsO in die Masse falle, müssten auch insoweit entstandene Umsatzsteuerschulden aus der Masse gem. § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO beglichen werden. Demgegenüber wies der Kläger und Insolvenzverwalter darauf hin, dass er den ursprünglichen Betrieb des Gemeinschuldners eingestellt habe und dieser nicht berechtigt sei, Verbindlichkeiten zu Lasten der Insolvenzmasse zu begründen. Der Neuerwerbstatbestand des § 35 InsO habe nur zur Folge, dass das aktive Vermögen, das der Gemeinschuldner nach der Insolvenzeröffnung erwerbe, in diese Masse falle, hingegen gelte dies nicht für Verbindlichkeiten.
Entscheidung
Die Klage hatte Erfolg. Masseverbindlichkeiten sind solche Verbindlichkeiten, die durch Handlungen des Insolvenzverwalters oder in anderer Weise durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse begründet werden, ohne zu den Kosten des Insolvenzverfahrens zu gehören (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO). Gem. § 80 Abs. 1 InsO hat nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens nur der Verwalter das Recht, das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen zu verwalten. Daraus ergäbe sich auch, dass nur er Masseverbindlichkeiten im Sinne des § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO begründen könne. Dies ergäbe sich aus dem Gesamtzusammenhang der Vorschriften der Insolvenzordnung. Bei einer anderen Ansicht könnte der Gemeinschuldner die Masse willkürlich schmälern und so letztlich die Tätigkeit des Insolvenzverwalters in Frage stellen. § 55 InsO räume dem "Neugläubiger" keinen Zugriff auf die Masse ein.
Darüber hinaus habe die gewerbliche Tätigkeit nicht der Insolvenzverwalter, sondern der Gemeinschuldner selbst ausgeübt. Deswegen sei dieser allein Schuldner der Umsatzsteuer (§ 13a Abs. 1 Nr. 1 UStG, § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG, § 2 UStG). Nach § 35 InsO erfasse das Insolvenzverfahren zwar das gesamte Vermögen des Gemeinschuldners einschließlich dessen, was dieser während des Verfahrens erlangt. Die Norm müsse aber so ausgelegt werden, dass dies nur das neu erworbene "Nettovermögen", d.h. das Aktivvermögen nach Abzug der neuen Schulden zu verstehen ist (Nerlich/Andres, Kommentar zur Insolvenzordnung, Stand: 1.3.2003, § 35 Rdnr. 93; Braun, Kommentar zur Insolvenzordnung, § 35 Rdnr. 70; a.A. Frankfurter Kommentar, § 55 Rdnr. 21). Letztlich könne die Streitfrage allerdings dahinstehen, da die im Jahre 2002 aufgrund der unternehmerischen Tätigkeit des Gemeinschuldners selbst entstandene Umsatzsteuer keine Masseverbindlichkeit darstelle.
Hinweis
Das Finanzgericht hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen (Az. V R 5/04). Entsprechende Fälle müssen also offen gehalten werden. Dr. Lohse weist in einer Anmerkung in der EFG (2004 S.1171) zurecht darauf hin, dass der BGH mit Beschluss vom 20.3.2003 (BGH, Beschluss v. 20.3.2003, IX ZB 388/02) entschieden hat, dass zur Insolvenzmasse im Sinne der §§ 35, 36 InsO die Einnahmen des Gemeinschuldners in vollem Umfang zählen und nicht nur etwa, wie vom Finanzgericht unter Hinweis auf die Kommentarliteratur dargestellt, die Nettoeinnahmen. Allerdings kann der Schuldner gem. § 850i Abs. 1 Satz 1 ZPO und § 850i Abs. 1 Satz 3 ZPO bei selbständigen gewerblichen oder beruflichen Einkünften beantragen, dass ihm von den pfändbaren Vergütungen soviel überlassen bleibt, wie ihm verbleiben würde, wenn sein Einkommen aus einem laufenden Arbeits- oder Dienstlohn bestünde. Im Endeffekt können dann doch die Betriebsausgaben in angemessenem Umfang abgezogen und damit das Einkommen insoweit pfändungs- und insolvenzfrei gestellt werden. Dieses Spannungsverhältnis zwischen § 35 InsO und § ...