2.4.1 Handlungen vorläufiger Insolvenzverwalter
Nach § 55 Abs. 4 InsO gelten Steuerschulden eines Insolvenzschuldners, die u. a. von einem schwachen vorläufigen Insolvenzverwalter oder vom Schuldner mit Zustimmung eines vorläufigen Insolvenzverwalters begründet worden sind, nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens als Masseverbindlichkeit. § 55 Abs. 4 InsO ist nur auf Masseverbindlichkeiten, nicht aber auch auf Vergütungsansprüche (z. B. Vorsteuererstattungsansprüche) zugunsten der Masse anzuwenden. § 55 Abs. 4 InsO, der auf alle ab dem 1.1.2011 beantragten Insolvenzverfahren anzuwenden ist, hat zu zahlreichen Anwendungsproblemen in der Praxis geführt, zu denen sich die Verwaltung zusammenfassend geäußert hat. Später wurden die Verwaltungsanweisungen zur Berichtigung der Bemessungsgrundlage wegen Uneinbringlichkeit im vorläufigen Insolvenzverfahren nochmals präzisiert und schließlich zusammengefasst. Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 4 InsO (sog. fiktive Masseverbindlichkeiten) werden insbesondere durch Handlungen des schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters im Rahmen seiner rechtlichen Befugnisse begründet. Eine wesentliche rechtliche Befugnis besteht darin, dass der schwache vorläufige Insolvenzverwalter durch das Insolvenzgericht zum Forderungseinzug ausdrücklich ermächtigt worden ist. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der schwache vorläufige Insolvenzverwalter vom Insolvenzgericht mit einem Zustimmungsvorbehalt ausgestattet wurde oder nicht. Große praktische Bedeutung hat die Vereinnahmung von Kundenforderungen durch den schwachen vorläufigen Insolvenzverwalter.
Für den starken vorläufigen Insolvenzverwalter ist § 55 Abs. 4 InsO nicht anwendbar, da insoweit sonstige Masseverbindlichkeiten bereits nach § 55 Abs. 2 InsO begründet werden.
2.4.2 Handlungen vorläufiger Sachwalter im Eigenverwaltungsverfahren
Der BFH hat entschieden, dass das Finanzamt die während des vorläufigen Insolvenzverfahrens unter Eigenverwaltung entstandene Umsatzsteuer nicht als Masseverbindlichkeit gegenüber dem späteren Insolvenzverwalter festsetzen darf. Danach war der Umsatzsteueranspruch für einen Besteuerungszeitraum, in dem der Unternehmer einem Eröffnungsverfahren mit vorläufiger Eigenverwaltung nach § 270a InsO unterliegt, weder nach § 55 Abs. 2 InsO noch nach § 55 Abs. 4 InsO eine Masseverbindlichkeit; auch eine analoge Anwendung dieser Vorschriften käme nicht in Betracht. Damit hat sich der BFH der BGH-Rechtsprechung angeschlossen. In der Literatur ist die BFH-Rechtsprechung ausdrücklich begrüßt worden. Dieses für den Fiskus ungünstige Ergebnis, das auf alle vor dem 1.1.2021 beantragten Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung anzuwenden ist, wurde sogar als steuerliche Privilegierung der Eigenverwaltung angesehen.
Diese Regelungen gelten allerdings nur für solche Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung, die vor dem 1.1.2021 beantragt worden sind. Für Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung, die nach dem 31.12.2020 beantragt worden sind, hat sich jedoch die Rechtslage aufgrund einer Ergänzung des § 55 Abs. 4 InsO durch das SanInsFoG geändert. In derartigen Insolvenzverfahren gelten Umsatzsteuerverbindlichkeiten des Insolvenzschuldners, die vom Schuldner nach Bestellung eines vorläufigen Sachwalters begründet worden sind, nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens als fiktive Masseverbindlichkeiten i. S. d. § 55 Abs. 4 InsO n. F.
Ergibt sich danach für den Zeitraum der vorläufigen Eigenverwaltung aus der nach § 16 UStG vorzunehmenden Saldierung (Umsatzsteuer abzüglich Vorsteuer) eine verbleibende Umsatzsteuer (Zahllast), wird diese aufgrund der Ergänzung des § 55 Abs. 4 InsO durch das SanInsFoG dem Massebereich zugeordnet. Dies gilt nach der Verwaltungsauffassung im sog. BMF-Einführungsschreiben zur Neuregelung des § 55 Abs. 4 InsO in allen Fällen, also unabhängig von der Art des vorläufigen Eigenverwaltungsverfahrens. Dagegen vertritt Wäger die Auffassung, dass § 55 Abs. 4 InsO n. F. keine Anwendung findet, wenn der vorläufige Sachwalter ohne eine Anordnung nach § 270c Abs. 3 Satz 2 InsO bestellt worden ist.