Dipl.-Finw. (FH) Wilhelm Krudewig
Ob von einer einheitlichen Leistung oder von mehreren getrennt zu beurteilenden selbstständigen Einzelleistungen auszugehen ist, hat umsatzsteuerlich insbesondere Bedeutung für die Bestimmung des Orts und des Zeitpunkts der Leistung. Es muss daher festgestellt werden, ob der Unternehmer dem Abnehmer gegenüber mehrere selbstständige Hauptleistungen oder eine einheitliche Leistung erbringt. Dabei ist auf die Sicht des Durchschnittsverbrauchers abzustellen.
7.1 Wann die Einheitlichkeit gerechtfertigt ist
In der Regel ist jede Lieferung und jede sonstige Leistung als eigene selbstständige Leistung zu betrachten. Deshalb können zusammengehörige Vorgänge nicht bereits als einheitliche Leistung angesehen werden, weil sie einem einheitlichen wirtschaftlichen Ziel dienen. Wenn mehrere, untereinander gleich zu wertende Faktoren zur Erreichung dieses Ziels beitragen und aus diesem Grund zusammengehören, ist die Annahme einer einheitlichen Leistung nur gerechtfertigt, wenn die einzelnen Faktoren so ineinandergreifen, dass sie bei natürlicher Betrachtung hinter dem Ganzen zurücktreten. Dass die einzelnen Leistungen auf einem einheitlichen Vertrag beruhen und für sie ein Gesamtentgelt entrichtet wird, reicht ebenfalls noch nicht aus, sie umsatzsteuerrechtlich als Einheit zu behandeln. Entscheidend ist der wirtschaftliche Gehalt der erbrachten Leistungen. Die dem Leistungsempfänger aufgezwungene Koppelung mehrerer Leistungen allein führt nicht zu einer einheitlichen Leistung.
7.2 Wann eine Aufteilung erfolgen muss
Allerdings darf ein einheitlicher wirtschaftlicher Vorgang umsatzsteuerrechtlich nicht in mehrere Leistungen aufgeteilt werden. Dies gilt auch dann, wenn sich die Abnehmer dem leistenden Unternehmer gegenüber mit einer solchen Aufspaltung einverstanden erklären. Auch der Umstand, dass beide Bestandteile im Wirtschaftsleben auch getrennt erbracht werden, rechtfertigt allein keine Aufspaltung des Vorgangs, wenn es dem durchschnittlichen Verbraucher gerade um die Verbindung beider Elemente geht.
Voraussetzung für das Vorliegen einer einheitlichen Leistung anstelle mehrerer selbstständiger Leistungen ist, dass es sich um Tätigkeiten desselben Unternehmers handelt. Entgeltliche Leistungen verschiedener Unternehmer sind auch dann jeweils für sich zu beurteilen, wenn sie gegenüber demselben Leistungsempfänger erbracht werden und die weiteren Voraussetzungen für das Vorliegen einer einheitlichen Leistung erfüllt sind.
7.3 Reisevorleistungen aus einem anderen Mitgliedstaat der EU
Ein inländischer Reiseveranstalter kann bei Reisevorleistungen, die er von einem Unternehmen in einem anderen EU-Land bezieht, die Margenbesteuerung wählen. Konsequenz ist, dass für ihn das Reverse-Chargeverfahren entfällt, sodass er als Leistungsempfänger nicht die Umsatzsteuer schuldet. Hierbei kann sich dabei unmittelbar auf die Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie über die Margenbesteuerung berufen
Reiseveranstalter mit Reisevorleistungen von aus Unternehmen in Österreich
Eine GmbH, war als Reiseveranstalterin unternehmerisch tätig. Sie hatte bei einem Unternehmen mit Sitz in Österreich Reisevorleistungen für Radtouren bezogen, die in Deutschland ausgeführt wurden. Das österreichische Unternehmen rechnete über diese Leistungen, die die Unterbringung, Verpflegung und Beförderung der Reisenden sowie die Vermietung von Fahrrädern beinhalteten, gegenüber der GmbH ohne Ausweis von Umsatzsteuer ab.
Die GmbH, die gegenüber ihren Kunden als Reiseveranstalterin im eigenen Namen und für eigene Rechnung auftrat, berechnete die Umsatzsteuer vom Differenzbetrag zwischen Reisepreis und den in Anspruch genommenen Reisevorleistungen. In den Ausgangsrechnungen wies die GmbH darauf hin, dass die Umsatzbesteuerung nach der gesetzlichen Margenbesteuerung erfolge. Umsatzsteuerliche Folgerungen aus den Reisevorleistungen, die von dem österreichischen Unternehmen erbracht wurden, zog die GmbH nicht. Das Finanzamt ging jedoch davon aus, dass der Ort der Reisevorleistungen im Inland liegt und die GmbH die Umsatzsteuer als Leistungsempfängerin hierfür schuldet (Reverse-Charge-Verfahren).
Der BFH hat entschieden, dass EU-Recht stets Vorrang vor nationalem Recht hat. Es ist hierbei unbeachtlich, dass der Steuerpflichtige, der sich auf EU-Recht beruft, selbst nicht Steuerschuldner, sondern (vorsteuerabzugsberechtigter) Abnehmer einer Lieferung ist, ohne die Steuer hierfür als Leistungsempfänger zu schulden. Die unmittelbare Berufung der GmbH auf das EU-Recht hängt nicht vom Verhalten des Unternehmens in Österreich ab, welches die Leistung erbringt. Denn die Rechtsfolgen des geltend gemachten Anwendungsvorrangs beschränken sich auf die eigene Person. Auf die Besteuerung des Unternehmens in Österreich wirkt sich das Unionsrecht erst dann aus, wenn diese gleichfalls einen Anwendungsvorrang geltend machen würde.
Die von ihr als Reisevorleistungen bezogenen Leistungen des österreichischen Unternehmens sind in Deutschland nach unionsrechtlichen Bestimmungen mangels inländischem Leistungsort nicht steuerbar. Die GmbH als Leistungsempfängerin kann somit mangels Steuerbarkeit ...