Ein inländischer Reiseveranstalter kann bei Reisevorleistungen, die er von einem Unternehmen in einem anderen EU-Land bezieht, die Margenbesteuerung wählen. Konsequenz ist, dass für ihn das Reverse-Chargeverfahren entfällt, sodass er als Leistungsempfänger nicht die Umsatzsteuer schuldet. Hierbei kann sich dabei unmittelbar auf die Mehrwertsteuer-Systemrichtlinie über die Margenbesteuerung berufen [1]

 
Praxis-Beispiel

Reiseveranstalter mit Reisevorleistungen von aus Unternehmen in Österreich

Eine GmbH, war als Reiseveranstalterin unternehmerisch tätig. Sie hatte bei einem Unternehmen mit Sitz in Österreich Reisevorleistungen für Radtouren bezogen, die in Deutschland ausgeführt wurden. Das österreichische Unternehmen rechnete über diese Leistungen, die die Unterbringung, Verpflegung und Beförderung der Reisenden sowie die Vermietung von Fahrrädern beinhalteten, gegenüber der GmbH ohne Ausweis von Umsatzsteuer ab.

Die GmbH, die gegenüber ihren Kunden als Reiseveranstalterin im eigenen Namen und für eigene Rechnung auftrat, berechnete die Umsatzsteuer vom Differenzbetrag zwischen Reisepreis und den in Anspruch genommenen Reisevorleistungen. In den Ausgangsrechnungen wies die GmbH darauf hin, dass die Umsatzbesteuerung nach der gesetzlichen Margenbesteuerung erfolge. Umsatzsteuerliche Folgerungen aus den Reisevorleistungen, die von dem österreichischen Unternehmen erbracht wurden, zog die GmbH nicht. Das Finanzamt ging jedoch davon aus, dass der Ort der Reisevorleistungen im Inland liegt und die GmbH die Umsatzsteuer als Leistungsempfängerin hierfür schuldet (Reverse-Charge-Verfahren).

Der BFH hat entschieden, dass EU-Recht stets Vorrang vor nationalem Recht hat. Es ist hierbei unbeachtlich, dass der Steuerpflichtige, der sich auf EU-Recht beruft, selbst nicht Steuerschuldner, sondern (vorsteuerabzugsberechtigter) Abnehmer einer Lieferung ist, ohne die Steuer hierfür als Leistungsempfänger zu schulden. Die unmittelbare Berufung der GmbH auf das EU-Recht hängt nicht vom Verhalten des Unternehmens in Österreich ab, welches die Leistung erbringt. Denn die Rechtsfolgen des geltend gemachten Anwendungsvorrangs beschränken sich auf die eigene Person. Auf die Besteuerung des Unternehmens in Österreich wirkt sich das Unionsrecht erst dann aus, wenn diese gleichfalls einen Anwendungsvorrang geltend machen würde.

Die von ihr als Reisevorleistungen bezogenen Leistungen des österreichischen Unternehmens sind in Deutschland nach unionsrechtlichen Bestimmungen mangels inländischem Leistungsort nicht steuerbar. Die GmbH als Leistungsempfängerin kann somit mangels Steuerbarkeit nicht Steuerschuldnerin der von ihr bezogenen Leistungen sein. Die GmbH, die als Leistungsempfängerin die Steuer für die betreffenden Leistungen selbst schuldet, kann somit den Anwendungsvorrang des für sie günstigeren Unionsrechts geltend machen. Es kann sich nicht zulasten der GmbH auswirken, wenn sie sich auf eine günstigere Bestimmung des Unionsrechts beruft, während das österreichische Unternehmen an der für sie günstigeren nationalen Regelung in Österreich festhält, zumal eine Richtlinie keine Verpflichtungen eines Einzelnen begründen kann, sodass ihm gegenüber eine Berufung auf die Richtlinie nicht möglich ist.

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