Leitsatz
Die Beschränkung der Umsatzsteuerfreiheit für Eingliederungsleistungen gemäß § 4 Nr. 16 Buchst. h UStG auf die Leistungen von Unternehmern, mit denen eine Vereinbarung nach § 75 SGB XII besteht, ist unionsrechtskonform.
Normenkette
§ 4 Nr. 16 Buchst. h UStG, Art. 132 Abs. 1 Buchst. g EGRL 112/2006 (= MwStSystRL)
Sachverhalt
Die Klägerin war als Erzieherin und selbstständige Betreuerin für den gemeinnützigen Verein O (Verein) tätig, dessen Vorsitzende sie war. Zwischen dem Verein und dem Landkreis G bestand ein Vertrag nach § 75ff. SGB XII.
Die Klägerin unterstützte mit ihren für den Verein erbrachten Leistungen seelisch kranke Menschen in ihren Wohnungen bei der Erweiterung psychosozialer und kommunikativer Kompetenzen. Dies diente der ambulanten Eingliederungshilfe nach § 53 SGB XII.
Seit 2011 war sie teilweise auch unmittelbar für verschiedene Sozialhilfeträger tätig. Im Anschluss an eine Umsatzsteuer-Sonderprüfung ging das FA davon aus, dass die Klägerin steuerpflichtige Leistungen erbracht habe, und erließ entsprechende Umsatzsteuerjahresbescheide für die Jahre 2009 bis 2012. Der Einspruch hatte keinen Erfolg.
Demgegenüber gab das FG (Niedersächsisches FG, Urteil vom 15.6.2016, 5 K 86/15, Haufe-Index 10851737) der Klage statt.
Entscheidung
Der BFH hob das Urteil des FG auf und verwies die Sache an das FG zurück. Entgegen dem Urteil des FG kann sich die Klägerin aufgrund der in den Streitjahren geltenden Neuregelung nicht auf das Unionsrecht berufen. Daher kommt es für die Steuerfreiheit auf das nationale Recht an.
Insoweit sind weitere Feststellungen zu treffen. Dabei wird das FG auch zu prüfen haben, ob die Klägerin aufgrund von bloßen Leistungsangeboten nach § 75 Abs. 4 SGB XII zur Inanspruchnahme der Steuerfreiheit berechtigt war. Diese können für eine Steuerfreiheit nach § 4 Nr. 16 Buchst. h UStG ausreichen.
Hinweis
1. Nach § 4 Nr. 16 Buchst. h UStG in seiner ab 2009 geltenden Neufassung sind die Leistungen der Einrichtungen steuerfrei, mit denen eine Vereinbarung nach § 75 SGB XII besteht.
2. Der BFH sieht diese Neuregelung als unionsrechtskonform an.
a) Nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. g EGRL 112/2006 befreien die Mitgliedstaaten eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Leistungen, einschließlich derjenigen, die durch Altenheime, Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder andere von dem betreffenden Mitgliedstaat als Einrichtungen mit sozialem Charakter anerkannte Einrichtungen bewirkt werden.
Die MwStSystRL legt die Voraussetzungen und Modalitäten der Anerkennung nicht fest. Vielmehr ist es Sache des innerstaatlichen Rechts jedes Mitgliedstaats, die Regeln aufzustellen, nach denen Einrichtungen die erforderliche Anerkennung gewährt werden kann. Die Mitgliedstaaten verfügen insoweit über ein Ermessen.
Dabei haben die nationalen Behörden im Einklang mit dem Unionsrecht und unter der Kontrolle der nationalen Gerichte die für die Anerkennung maßgeblichen Gesichtspunkte zu berücksichtigen. Zu diesen gehören das Bestehen spezifischer Vorschriften, seien es nationale oder regionale, Rechts- oder Verwaltungsvorschriften, Steuervorschriften oder Vorschriften im Bereich der sozialen Sicherheit, das mit den Tätigkeiten des betreffenden Steuerpflichtigen verbundene Gemeinwohlinteresse, die Tatsache, dass andere Steuerpflichtige mit den gleichen Tätigkeiten bereits in den Genuss einer ähnlichen Anerkennung kommen, und dass die Kosten der fraglichen Leistungen zum großen Teil durch Krankenkassen oder andere Einrichtungen der sozialen Sicherheit übernommen werden.
Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Kosten im konkreten Fall tatsächlich übernommen worden sind, sondern es reicht aus, dass sie übernehmbar sind. Es ist Sache des nationalen Gerichts, anhand aller maßgeblichen Umstände zu bestimmen, ob der Steuerpflichtige als Einrichtung mit sozialem Charakter anerkannt ist.
b) Mit seiner Entscheidung, für die Steuerfreiheit an die Voraussetzungen von § 75 SGB XII anzuknüpfen, hat der nationale Gesetzgeber die unionsrechtlichen Vorgaben nicht überschritten.
aa) Mit der Verweisung auf § 75 SGB XII knüpft der nationale Gesetzgeber für die Steuerfreiheit an eine Vorschrift des Sozialversicherungsrechts an. Die für die Steuerfreiheit erforderliche Vereinbarung muss nach § 75 Abs. 3 Satz 1 SGB XIIRegelungen zum Inhalt und Umfang und zur Qualität der Leistungen, zur Vergütung und zur Prüfung der Wirtschaftlichkeit und Qualität der Leistungen enthalten.
Der Sozialhilfeträger kann insbesondere die Qualität der Leistungen prüfen (§ 75 Abs. 3 Satz 3 SGB XII). Die Einrichtung oder der Dienst muss gemäß § 75 Abs. 2 Satz 2 SGB XII unter Berücksichtigung ihrer Leistungsfähigkeit zur Erbringung der Leistungen geeignet sein.
bb) Eine über den Anwendungsbereich dieser Vorschrift hinausgehende Steuerfreiheit ist unionsrechtlich nicht im Hinblick auf ein Gemeinwohlinteresse an der Leistungserbringung geboten. Denn der nationale Gesetzgeber ist bei der Ausgestaltung der unternehmerbezogenen Anerkennung befugt, die Leistu...