Leitsatz

1. Die Umsatzsteuerfreiheit von Privatkliniken nach § 4 Nr. 16 Buchst. b UStG a.F. i.V.m. § 67 Abs. 2 AO erforderte im Jahr 2006 keine Vorauskalkulation der Selbstkosten (Anschluss an BFH-Urteil vom 23.01.2019 ‐ XI R 15/16, BFHE 263, 543).

2. Die durch das Jahressteuergesetz 2007 mit Rückwirkung zum 01.01.2003 geänderte Fassung des § 67 Abs. 1 AO ist für das Jahr 2006 verfassungsrechtlich unbedenklich.

 

Normenkette

§ 4 Nr. 16 Buchst. b UStG a.F., § 67, § 365 Abs. 3 AO, Art. 97 § 1c Abs. 3 EGAO, Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. b 6. EG-RL (= EWGRL 388/77), § 17b Abs. 6 KHG, § 7, § 10 BPflV

 

Sachverhalt

Die Klägerin betreibt ein privates Krankenhaus zur Diagnose, Therapie und Behandlung von …erkrankungen sowie … Krankheitsbildern. In ihrer zu einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung führenden USt-Jahreserklärung 2006 behandelte sie die Umsätze aus der Privatklinik als nach § 4 Nr. 16 Buchst. b UStG i.V.m. § 67 AO steuerfrei. Das FA ging demgegenüber davon aus, dass die Klägerin 2005 gegenüber ihren Patienten weder nach der BPflV noch nach Fallpauschalen entsprechend dem KHEntgG abgerechnet, sondern stattdessen eine "Vielzahl von Abrechnungsmodalitäten" genutzt habe und nicht nachweisen könne, dass die von ihr gegenüber den Patienten abgerechneten Leistungen zu mindestens 40 % der gesamten Belegungstage die gegenüber den allgemeinen Krankenkassen zulässigen Abrechnungen nach der Bundespflegesatzverordnung und dem Krankenhausentgeltgesetz nicht überstiegen. Das FG wies die Klage ab (FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 13.11.2018, 5 K 5227/16).

 

Entscheidung

Der BFH hob die Entscheidung der Vorinstanz auf und verwies die Sache an das FG zurück. Das FG habe unter Verstoß gegen § 4 Nr. 16 Buchst. b UStG a. F. i. V. m. § 67 Abs. 2 AO entschieden, dass die Steuerfreiheit der Leistungen eines privaten Krankenhauses im Jahr 2006 eine Vorauskalkulation der Selbstkosten erforderte. Die Sache sei nicht spruchreif, da zu prüfen sei, ob mindestens 40 % der jährlichen Belegungstage oder Berechnungstage auf Patienten entfielen, bei denen die abgerechneten Entgelte nicht höher waren. Hierfür könne auch von Bedeutung sein, ob vergleichbare Bedingungen im Hinblick auf die Finanzierung von Investitionskosten vorliegen.

 

Hinweis

1. Der Besprechungsfall beschäftigt sich mit der Behebung eines legislativen Versäumnisses.

§ 67 AO Abs. 1 a. F. verwies mehrere Jahre auf eine Form der Krankenhausfinanzierung, die es aufgrund der Einführung sog. Fallpauschalen tatsächlich nicht mehr gab, und verlangte für sog. Privatkrankenhäuser nach § 67 Abs. 2 AO eine Vorabselbstkostenberechnung entsprechend dieser inexistenten Krankenhausfinanzierung.

Dieser gesetzgeberische Mangel wurde erst mit Rückwirkung durch das JStG 2007 behoben.

2. Damit stellte sich für § 67 Abs. 2 AO unterliegende Privatkrankenhäuser die Frage, ob sie auch für den Rückwirkungszeitraum eine Vorabselbstkostenberechnung vornehmen müssen.

Der BFH verneint dies. Er geht von einer zulässigen Rückwirkung aufgrund einer unklaren Rechtslage aus und entscheidet auf dieser Grundlage, dass es nach der neuen Rechtslage keiner Vorabkalkulation der Selbstkosten bedürfe.

3. Damit kommt es auf einen Entgeltvergleich zwischen den öffentlich-rechtlichen Krankenhäusern und den Privatkrankenhäusern an. Hier setzt der BFH einen neuen Akzent, der für die weitere Entwicklung der Rechtsprechung nicht unbeachtet bleiben sollte. Denn der durch § 67 Abs. 2 AO geforderte Entgeltvergleich setzt dem Grunde nach vergleichbare Rahmenbedingungen voraus. Dem würde es wohl nicht entsprechen, wenn öffentlich-rechtliche Krankenhäuser mit den Einnahmen aus den Krankenhausbehandlungsleistungen nur ihren laufenden Betrieb finanzieren müssten, da sie für Investitionen Zuschüsse erhalten, während Privatkrankenhäuser Betrieb und Investitionen aus den Krankenhausbehandlungsentgelten bestreiten müssten.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 17.11.2022 – V R 23/20

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