Prof. Rolf-Rüdiger Radeisen
Kommentar
Die Liberalisierung am Energiemarkt hat dazu geführt, dass auch Unternehmer Erdgas an Verbraucher liefern können, die nicht über ein eigenes Verteilungsnetz verfügen. Durch die Verordnung über den Zugang zu Gasversorgungsnetzen (GasNZV) sind die Bedingungen für den Netzzugang geregelt. Grundsätzlich sind die Regelungen analog zu den Abwicklungsvorschriften für die Durchleitung von Strom durch Stromnetze festgelegt worden.
In dem System sind verschiedene Vertragspartner vorhanden, die untereinander Verpflichtungen eingehen – insbesondere sind Mehr- oder Mindermengen von Gas auszugleichen, die dadurch entstehen, dass ein Gaslieferant (Transportkunde) mehr oder weniger Gas in das Netz einspeist, als von seinen Kunden aus dem Netz entnommen werden. Folgende Vertragspartner sind an dem Betrieb des Gasnetzes beteiligt:
- Transportkunde: Unternehmer, der Gas in das Netz einspeist und gegenüber seinen Kunden liefert. Die eingespeisten und entnommenen Mengen an Gas können differieren (auch bezüglich des Energiegehalts).
- Netzbetreiber: Unternehmer, der das Gasnetz als solches unterhält.
- Marktgebietverantwortlicher: Der Marktgebietverantwortliche führt das Bilanzkreissystem.
- Bilanzkreisverantwortlicher: Die Bilanzkreisverantwortlichen müssen innerhalb ihres Bilanzkreises bezüglich der ihrem Bilanzkreis zugeordneten Ein- und Ausspeisemengen für eine ausgeglichene Bilanz sorgen.
Die Leistungsbeziehungen innerhalb dieses Systems hat die Finanzverwaltung anhand der folgenden Darstellung verdeutlicht:
Die Finanzverwaltung hat jetzt die umsatzsteuerrechtlichen Folgen aus den Abrechnungen der Vertragsparteien wie folgt gezogen:
- Der Ausgleich von Mehr- oder Mindermengen an Gas zwischen dem Ausspeisenetzbetreiber und dem Transportkunden stellt Lieferungen von Gas dar (Lieferung von Gas durch den (Ausspeise-)Netzbetreiber an den Transportkunden bei Mindermengen; Lieferung von Gas von dem Transportkunden an den (Ausspeise-)Netzbetreiber bei Mehrmengen). Unter den Voraussetzungen des § 13b Abs. 2 Nr. 5 Buchst. b i. V. m. Abs. 5 UStG wird der Leistungsempfänger zum Steuerschuldner für die ihm gegenüber ausgeführte Lieferung.
- Der Ausgleich von Mehr- oder Mindermengen an Gas zwischen dem Marktgebietverantwortlichen und dem (Ausspeise-)Netzbetreiber stellt ebenfalls eine Lieferung von Gas dar. Unter den Voraussetzungen des § 13b Abs. 2 Nr. 5 Buchst. b i. V. m. Abs. 5 UStG wird der Leistungsempfänger zum Steuerschuldner für die ihm gegenüber ausgeführte Lieferung.
- Zwischen dem Marktgebietverantwortlichen und dem Bilanzkreisverantwortlichen liegen keine Lieferungen von Gas vor. Bilanzkreisabweichungen werden im Rahmen der Bilanzkreisabrechnung zwischen Marktgebietverantwortlichem und Bilanzkreisverantwortlichem abgerechnet. In der Leistung des Bilanzkreisverantwortlichen in Erfüllung seiner Verpflichtungen aus dem Bilanzkreisvertrag ist nach Auffassung der Finanzverwaltung insgesamt eine sonstige Leistung zu sehen.
Konsequenzen für die Praxis
Die Liberalisierung an den Energiemärkten hat sowohl bei der Strom- als auch bei der Gaslieferung zu vielen neuen Problemen geführt. Die teilweise Trennung in Versorger und Netzbetreiber kann zu Leistungsaustauschprozessen führen, die zwar wirtschaftlich nicht gewollt sind, aber für das technische Funktionieren des Gesamtsystems notwendig sind. Die Finanzverwaltung nimmt jetzt – insbesondere auch vor dem Hintergrund der zum 1.9.2013 ausgeweiteten Anwendung des Reverse-Charge-Verfahrens bei der Lieferung von Gas und Elektrizität auch durch inländische Unternehmer Stellung.
Die Grundsätze des BMF-Schreibens sind in allen noch offenen Fällen anzuwenden. Es wird aber nicht beanstandet, wenn für alle vor dem 1.1.2015 ausgeführten Lieferungen im Rahmen der Mehr- oder Mindermengenabrechnung Gas zwischen (Ausspeise-)Netzbetreiber und Transportkunde bzw. zwischen Marktgebietverantwortlichem und (Ausspeise-)Netzbetreiber entweder von sonstigen Leistungen oder von Leistungen des Bilanzkreisverantwortlichen ausgegangen wird.
Link zur Verwaltungsanweisung
BMF, Schreiben v. 1.7.2014, IV D 2 – S 7124/07/10002 :001, BStBl 2014 I S. 1111