Leitsatz
Kauft eine Erzeugergenossenschaft Lebensmittel von ihren Mitgliedern in ihrer Eigenschaft als Erzeuger an und liefert diese Lebensmittel in eigenem Namen und auf eigene Rechnung an Abnehmer weiter, sind "Marktgebühren", die die Erzeugergenossenschaft von dem an die Erzeuger zu zahlenden Kaufpreis abzieht, kein Entgelt für eine Vermarktungsleistung.
Normenkette
§ 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UStG, Art. 2 Abs. 1 Buchst. a und c EGRL 112/2006 (= MwStSystRL)
Sachverhalt
O, eine Erzeugergemeinschaft in der Rechtsform der Genossenschaft, betrieb die gemeinschaftliche Verwertung landwirtschaftlicher Erzeugnisse ihrer Mitglieder (Erzeuger). Nur Mitglieder der O waren als Anlieferer zugelassen. O vermarktete die angelieferten Erzeugnisse im eigenen Namen auf eigene Rechnung. Sie verkaufte die Erzeugnisse an verschiedene Erwerber (Abnehmer). Gegenüber den Abnehmern trat O als Verkäuferin auf. Die Ware blieb bis zur vollständigen Bezahlung des Kaufpreises durch den Abnehmer Eigentum der O.
Die Auszahlungspreise an die Erzeuger ergaben sich aus den jeweiligen Verkaufserlösen abzüglich der festgesetzten Abschläge (u.a. Verpackungskosten, Werbebeiträge, Kühlkosten etc.). Die Abrechnung der Lieferungen der Erzeuger an O erfolgte durch Gutschrift.
Die Abschläge ("Marktgebühren") zog O im Rahmen der Gutschriften an die Erzeuger vom Verkaufserlös der O an die Abnehmer ab und behielt sie ein. Den Veräußerungserlös abzüglich der Abschläge legte O auch als Gegenleistung für die Lieferungen der Erzeuger an O der Besteuerung zugrunde. Die USt berechnete O – je nach Wahl des Erzeugers – entweder nach den allgemeinen Vorschriften des UStG oder nach Durchschnittssätzen (§ 24 UStG a.F.); die sich ergebende USt zog O als Vorsteuer ab.
Das FA sah nach Durchführung mehrerer Außenprüfungen in den Marktgebühren ein Entgelt für eine (dem Regelsteuersatz unterliegende) sonstige Leistung der O an die Erzeuger. Die Marktgebühren seien der USt zu unterwerfen. Der Einspruch blieb erfolglos.
Das FG (FG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 12.12.2019, 6 K 1056/16, Haufe-Index 15078532, EFG 2020, 612) gab der Klage statt. Es entschied, die Marktgebühren seien von den Erzeugern nicht aufgewendet worden, um Leistungen der O zu erlangen.
Entscheidung
Der BFH wies die Revision als unbegründet zurück.
Hinweis
Muss derjenige, der letztendlich eine Leistung zahlt, ihr Leistungsempfänger sein, sodass der zivilrechtliche Leistungsempfänger diese Leistung an den Zahlenden weiter erbracht haben muss (Leistungskette)? Die Antwort des BFH darauf lautet: nein.
1. Ein steuerbarer Umsatz setzt voraus, dass der Leistungsempfänger identifizierbar sein und einen Vorteil erhalten muss, der zu einem Verbrauch i.S.d. gemeinsamen Mehrwertsteuersystems führt. Ein einem Dritten entstehender Vorteil ist dann unbeachtlich, wenn er als nebensächlich einzustufen ist und die Leistung im eigenen Interesse des Steuerpflichtigen liegt.
2. Im Handelsbereich bedeutet dies: Erwirbt eine Zwischenhändlerin Ware vom Hersteller und liefert diese an seine Abnehmer weiter, hat die Zwischenhändlerin mit der Vermarktung der Ware (Werbung etc.) keine weitere sonstige Leistung an den Hersteller ausgeführt, weil sie durch die Werbung etc. selbst höhere Ausgangsumsätze erzielt. Die weiterberechneten Kosten für Werbung etc. mindern daher im Regelfall die Bemessungsgrundlage der Lieferungen des Herstellers an die Zwischenhändlerin. Anders kann es aber z.B. sein, wenn zwischen der Zahlung und der Werbung ein Synallagma besteht, d.h. der Hersteller aufgrund der Zahlungen Anspruch auf bestimmte Werbeleistungen hat. Entscheidend sind letztlich die vertraglichen Vereinbarungen.
Link zur Entscheidung
BFH, Beschluss vom 13.9.2022 – XI R 8/20