Leitsatz
* Die sog. Emmott'sche Fristenhemmung (EuGH, Urteil vom 25.7.1991, C-208/90"Emmott", Slg. 1991, I-4269) berührt auch dann nicht den Lauf der Revisionseinlegungsfrist (§ 120 Abs. 1 Satz 1 FGO), wenn mit der Klage ein Verstoß gegen die gemeinschaftsrechtlichen Diskriminierungsverbote geltend gemacht wird. Das gilt unabhängig davon, ob die bisherige Ungewissheit über die Rechtslage (hier der Gemeinschaftsrechtmäßigkeit des Körperschaftsteuer-Anrechnungsverfahrens) infolge des zwischenzeitlichen Vorliegens der Schlussanträge des Generalanwalts in einem anderweitig beim EuGH anhängigen Verfahren (hier die EuGH-Sache C-319/02 "Manninen", IStR 2004, 316) weitgehend beseitigt worden sein mag.
* Leitsatz nicht amtlich
Normenkette
§ 120 Abs. 1 Satz 1 FGO
Sachverhalt
Es ging um jenen Sachverhalt, über den der BFH auch in dem Beschluss über das Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH vom 14.7.2004, I R 17/03 (in diesem Heft S. 21) zu entscheiden hat: Die Beteiligten streiten darüber, ob Finanzierungskosten für den Erwerb und ob Verwaltungskosten der Anteile an einer inländischen Tochtergesellschaft, die ihrerseits aus Beteiligungen an ausländischen Gesellschaften steuerfreie Einnahmen erzielt, in den Jahren 1993 bis 1995 als Betriebsausgaben zu berücksichtigen sind.
Die Klage gegen die entsprechend geänderten Steuerbescheide war nur hinsichtlich der Streitjahre 1994 und 1995 erfolgreich, hinsichtlich des Streitjahrs 1993 jedoch nicht. Gegen das Urteil des FG haben beide Beteiligten Revision eingelegt, die unter dem besagten Az. I R 17/03 geführt wird. Das Streitjahr 1993 wurde vom BFH abgetrennt (§ 73 Abs. 1 FGO).
Grund dafür war, dass die Klägerin noch – nachträglich und nach Ablauf der Revisionseinlegungsfrist des § 120 Abs. 1 FGO – für dieses Jahr ihrerseits Revision eingelegt hat.
Entscheidung
Der BFH hielt diese Revision wegen Fristversäumnis für unzulässig. Eine Vernachlässigung der Frist des § 120 Abs. 1 FGO aus gemeinschaftsrechtlichen Erwägungen, wie von der Klägerin geltend gemacht, scheide aus.
Denn bezogen auf die Gegebenheiten des Streitfalls spreche nichts dafür, dass für die Klägerin in jenem Zeitpunkt, in dem das hier angefochtene FG-Urteil ergangen ist, durch die Revisionsfrist die Durchsetzung von Rechten aus dem Gemeinschaftsrecht praktisch unmöglich gemacht oder übermäßig erschwert worden sein könnte. Die Klägerin war nicht gehindert, gegen das Urteil ihrerseits für das Jahr 1993, für das sie mit ihrer Klage vor dem FG unterlegen war, Revision einzulegen und sich auf einen Verstoß gegen Bundes- oder Gemeinschaftsrecht zu berufen.
Ihr Einwand, die Ungewissheit der Rechtslage sei erst infolge der Schlussanträge des Generalanwalts in der EuGH-Sache Manninen (Rs. C-319/02, IStR 2004, 316; s. dazu jetzt auch das EuGH-Urteil vom 7.9.2004, C-319/02, in diesem Heft auf S. 24) weitgehend beseitigt worden, ändere daran nichts. Diese Ungewissheit bestätige im Gegenteil, dass es erforderlich gewesen wäre, beizeiten Rechtsmittel einzulegen, um die nötige Gewissheit herbeizuführen.
Hinweis
Im Jahr 1991 hat der EuGH in dem Urteil vom 25.7.1991, C-208/90 (Slg. 1991, 4269, 4292) die sog. Emmott'sche Fristenhemmung kreiert. Danach soll der Ablauf nationaler Verfahrensfristen wie der Widerspruchs- und Klagefrist gehemmt sein, "wenn der nationale Verwaltungsakt im Widerspruch zum europäischen Gemeinschaftsrecht ergeht und dies zu einem Zeitpunkt, zu dem trotz Ablaufs der Umsetzungsfrist der Mitgliedstaat den Gemeinschaftsrechtsakt nicht ordnungsgemäß in nationales Recht transformiert hat".
Auch diese Rechtsprechung des EuGH geht jedoch von dem Grundsatz aus, dass das Gemeinschaftsrecht es vor einer Harmonisierung von Bestimmungen über die Verfahrensgrundsätze nicht verbietet, einem Bürger, der vor einem innerstaatlichen Gericht die Entscheidung einer innerstaatlichen Stelle wegen Verstoßes gegen das Gemeinschaftsrecht anficht, den Ablauf der im innerstaatlichen Recht vorgesehenen Fristen für die Rechtsverfolgung entgegenzuhalten (EuGH, Urteil vom 16.12.1976, C 33/76, Slg. 1976, 1989). Das Urteil des EuGH in Slg. 1991 I, 4269 betraf außerdem einen Sonderfall national nicht umgesetzter EG-Richtlinien. In diesem Zusammenhang hat das Gericht entschieden, dass ein Staat, der die Richtlinien nicht ordnungsgemäß in seine interne Rechtsordnung umgesetzt hat, durch das Gemeinschaftsrecht gehindert ist, sich auf die nationalen Verfahrensvorschriften über Klagefristen gegenüber einer Klage zu berufen, die ein Einzelner vor den nationalen Gerichten zum Schutz der durch die Richtlinie unmittelbar verliehenen Rechte erhoben hat.
Das gilt alles jedoch nicht, sofern die Frist für die Geltendmachung auf Gemeinschaftsrecht gestützter Ansprüche nicht ungünstiger ist als für die Geltendmachung auf nationales Recht gestützter Ansprüche und die Ausübung der durch die Gemeinschaftsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich macht oder übermäßig erschwert (EuGH, Urteil vom 2.12. 1997, C-188/95, Slg. 1997 I, 6783).
Mit anderen Worte...