Leitsatz
1. Die aufgrund des Steuersenkungsgesetzes vom 23.10.2000 am 01.01.2001 in Kraft getretenen Änderungen des Systems der Hinzurechnungsbesteuerung haben dazu geführt, dass die sog. Standstill-Klausel des Art. 57 Abs. 1 EG (jetzt: Art. 64 Abs. 1 AEUV) keine Anwendung mehr findet und die Hinzurechnungsbesteuerung im Zusammenhang mit Direktinvestitionen hinsichtlich einer in einem Drittstaat (hier: Schweiz) ansässigen Zwischengesellschaft sich fortan an der Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 56 Abs. 1 EG, jetzt: Art. 63 Abs. 1 AEUV) messen lassen muss.
2. Die Hinzurechnung von im Wirtschaftsjahr 2006 erzielten Zwischeneinkünften mit Kapitalanlagecharakter einer in der Schweiz ansässigen Zwischengesellschaft beschränkt zwar die Kapitalverkehrsfreiheit, ist aber gerechtfertigt und verstößt daher nicht gegen Unionsrecht (Fortführung des EuGH-Urteils X vom 26.02.2019 - C‐135/17, EU:C:2019:136, DStR 2019, 489).
Normenkette
§ 7 Abs. 6, Abs. 6a AStG i.d.F. des StVergAbG, § 10 Abs. 2 AStG i.d.F. des StSenkG, Art. 56 Abs. 1, Art. 57 Abs. 1 EG, Art. 63 Abs. 1, Art. 64 Abs. 1 AEUV
Sachverhalt
Die Klägerin, eine im Inland ansässige GmbH, war zu 30 % an der im Juni 2005 gegründeten Y-AG, einer schweizerischen Kapitalgesellschaft mit Sitz und Geschäftsleitung in der Schweiz, beteiligt. Weitere Gesellschafterin war eine ebenfalls in der Schweiz ansässige anderweitige Kapitalgesellschaft. Ende Juni 2005 schloss die Y-AG mit der (inländischen) Z-GmbH einen "Forderungskauf- und Übertragungsvertrag", mit dem sie Forderungen auf "Erlösbeteiligungen" gegenüber vier Sportvereinen erwarb. Als Kaufpreis für die Abtretung der "Erlösbeteiligungen" zahlte die Y-AG an die Z-GmbH einen Gesamtbetrag von ... EUR, den sie in voller Höhe fremdfinanziert hatte. Die Klägerin gewährte der Y-AG im November 2005 ein Darlehen über ... EUR. Das FA sah in der Y-AG eine Zwischengesellschaft für Zwischeneinkünfte mit Kapitalanlagecharakter i.S.v. § 7 Abs. 6 und 6a AStG. Er stellte zum 1.1.2006 gegenüber der Klägerin (für das Wirtschaftsjahr 2005) einen verbleibenden Verlustabzug für Verluste, die bei Einkünften entstanden sind, für die die ausländische Gesellschaft Zwischengesellschaft ist, i.H.v. 95.223 EUR gesondert fest (§ 18 Abs. 1 i.V.m. § 10 Abs. 3 Satz 5 AStG 2006, § 10d EStG). Zum 1.1.2007 stellte das FA gemäß § 18 Abs. 1 AStG 2006 Einkünfte aus passivem Erwerb einer ausländischen Gesellschaft i.H.v. 546.651 EUR fest, die mit dem für das Vorjahr festgestellten Verlust verrechnet wurden.
Die gegen beide Bescheide gerichtete Klage blieb ohne Erfolg (FG Baden-Württemberg, Urteil vom 21.10.2014, 6 K 2550/12, Haufe-Index 10526892).
Entscheidung
Der BFH wies die Revision der Klägerin ab. Er ging zum einen davon aus, dass die Y-AG Zwischengesellschaft für Zwischeneinkünfte mit Kapitalanlagecharakter war. Zum anderen hielt er die Hinzurechnung der Drittstaaten-Zwischeneinkünfte auch für unionsrechtskonform.
Hinweis
1. Mit der Besprechungsentscheidung, die auf den Vorlagebeschluss des I. Senats (BFH, Beschluss vom 12.10.2016, I R 80/14, BFH/NV 2017, 636, BStBl II 2017, 615) und das EuGH-UrteilX (EuGH, Urteil vom 26.2.2019, C-135/17, Haufe-Index 12955471) folgt, hat der BFH in der umstrittenen Frage der Unionsrechtsmäßigkeit der Hinzurechnungsbesteuerung in Drittstaatensachverhalten erste praktisch wichtige Klärungen herbeigeführt. Zwar betrifft der Streitfall unmittelbar nur den speziellen Fall der Hinzurechnung von Zwischeneinkünften mit Kapitalanlagecharakter. Einige der vom BFH aufgestellten Grundsätze dürfen allerdings auch auf die allgemeine Hinzurechnungsbesteuerung zu übertragen sein.
2. Die Hinzurechnung von Zwischeneinkünften mit Kapitalanlagecharakter ist ein Sonderfall der Hinzurechnungsbesteuerung. Während die allgemeine Hinzurechnungsbesteuerung erst bei einer Inländerbeherrschung – mehr als 50 % – der ausländischen Gesellschaft greift, wird ein Inländer bei Gesellschaften, die Zwischeneinkünfte mit Kapitalanlagecharakter erzielen, bereits bei einer Beteiligung von 1 % in die Hinzurechnungsbesteuerung "hineingezogen".
3. Im vorliegenden Revisionsverfahren war erstmalig zu klären, ob diese Form der Hinzurechnungsbesteuerung unionsrechtlich zulässig ist, wenn die ausländische Gesellschaft in einem Drittstaat (im Streitfall: Schweiz) ansässig ist. Für diesen Fall sieht das geltende AStG im Unterschied zu EU-Gesellschaften keinen sog. Entlastungsbeweis vor (vgl. § 8 Abs. 2 AStG). Die Gesellschaft kann also von vornherein nicht geltend machen, dass sie keine rein künstliche, zur "Steueroptimierung kreierte" Erscheinung ist, sondern sie einer tatsächlichen wirtschaftlichen Betätigung nachgeht.
4. Der BFH bejaht die Anwendbarkeit der Kapitalverkehrsfreiheit; sie wird angesichts der auf Streubesitzbeteiligungen zugeschnittenen Regelung in § 7 Abs. 6 AStG insbesondere nicht durch die Niederlassungsfreiheit verdrängt. Der BFH geht zudem von einer Beeinträchtigung der Kapitalverkehrsfreiheit aus. Denn im vergleichbaren rein inländischen Fall einer Beteiligung g...