Leitsatz
1. Eine aufgrund eines fehlerhaft genannten Fristbeginns unrichtig erteilte Rechtsbehelfsbelehrung führt gemäß § 55 Abs. 2 FGO dazu, dass die Einlegung des Rechtsbehelfs noch innerhalb eines Jahres seit der Bekanntgabe des Bescheids zulässig ist. Dies gilt auch dann, wenn damit statt der gesetzlich vorgeschriebenen Frist eine zu lange Frist angegeben wird, unabhängig davon, ob die Unrichtigkeit der Rechtsbehelfsbelehrung kausal für die Überschreitung der regulären Rechtsbehelfsfrist war.
2. Wird Kindergeld mit dem Hinweis auf einen bereits bestandskräftigen Bescheid abgelehnt, handelt es sich um eine wiederholende Verfügung ohne eigenen Regelungsgehalt, auch wenn sie in Form eines Verwaltungsakts ergeht und mit einer Rechtsmittelbelehrung versehen ist.
Normenkette
§ 44, § 47, § 55 Abs. 2 FGO, § 1 Abs. 3, § 11, § 49, § 62 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG
Sachverhalt
Der Kläger, ein polnischer Staatsangehöriger, war ab 2005 zeitweise im Inland nicht selbstständig und sozialversichert tätig, u.a. im Streitzeitraum April bis Dezember 2010. Seine Ehefrau lebt mit dem Kind in Polen.
Mit Bescheid vom 21.12.2009 setzte die Familienkasse Kindergeld für mehrere Zeiträume fest und lehnte durch weiteren Bescheid vom 29.12.2010 den Kindergeldanspruch u.a. ab November 2009 ab.
Der Kläger legte "gegen den Bescheid vom 29.12.2010" Einspruch ein, der am 14.12.2011 als unzulässig verworfen wurde, weil nicht erkennbar sei, gegen welchen Bescheid sich der Einspruch richte. Die Einspruchsentscheidung war an den inländischen Bevollmächtigten adressiert. In der Rechtsbehelfsbelehrung war über den Beginn der Klagefrist ausgeführt: "… Bei Zusendung durch einfachen Brief oder Zustellung durch eingeschriebenen Brief gilt die Bekanntgabe einen Monat nach Aufgabe zur Post als bewirkt …"
Mit einem im Mai 2012 gestellten Antrag beantragte der Kläger Kindergeld für 2010 und 2011. Mit Bescheid vom 15.6.2012 lehnte die Familienkasse die Festsetzung von Kindergeld für den Zeitraum vor Januar 2011 unter Hinweis auf die bestandskräftige Ablehnung im Bescheid vom 29.12.2010 ab. Der dagegen gerichtete Einspruch wurde mit bestandskräftiger Einspruchsentscheidung vom 28.8.2012 als unbegründet zurückgewiesen.
Das FG (FG Düsseldorf, Urteil vom 28.11.2013, 7 K 4595/12 Kg) gab der am 14.12.2012 eingegangenen Klage gegen "den Bescheid vom 29.12.2010 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 14.12.2011" teilweise statt, indem es die Familienkasse verpflichtete, für April 2010 bis Dezember 2010 Differenzkindergeld festzusetzen.
Entscheidung
Die Revision der Familienkasse führte zur Aufhebung des FG-Urteils und zur Zurückverweisung. Im zweiten Rechtsgang ist zu prüfen, ob der Kläger einen inländischen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hatte oder ob er, wie das FG ohne nähere Begründung angenommen hatte, nach § 1 Abs. 3 EStG veranlagt wurde. Bei einer Kindergeldberechtigung nach § 62 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b EStG besteht ein Kindergeldanspruch nur in den Monaten, in denen der Anspruchsberechtigte inländische Einkünfte i.S.d. § 49 EStG erzielt hat.
Hinweis
1. Ob eine Klage zulässig war und die Voraussetzungen für ein Sachurteil des FG vorlagen, prüft der BFH ohne Bindung an die Auffassung des FG. Dazu kann er eigene Feststellungen anhand der im Revisionsverfahren vorgelegten Akten treffen.
2. Die einmonatige Klagefrist beginnt mit Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung, wenn der Kläger über die einzuhaltende Frist schriftlich belehrt worden ist. Bei unterbliebener oder unrichtiger Belehrung verlängert sich die Frist gemäß § 55 Abs. 2 Satz 1 FGO auf ein Jahr.
3. Zur ordnungsgemäßen Rechtsbehelfsbelehrung gehört eine Belehrung über den Fristbeginn, die aber nicht den Besonderheiten des Einzelfalles Rechnung tragen muss. Ausreichend ist eine abstrakte Belehrung über die vorgeschriebene Anfechtungsfrist anhand des Gesetzestextes. Die Einspruchsentscheidung besagte hier, dass ihre Bekanntgabe und damit der Beginn der einmonatigen Klagefrist bei Zusendung durch einfachen oder Zustellung durch eingeschriebenen Brief einen Monat nach Aufgabe zur Post als bewirkt gelte. Das entspricht dem in § 122 Abs. 2 Nr. 2 AO geregelten Fristbeginn bei postalischer Übermittlung ins Ausland. Tatsächlich war jedoch an den inländischen Zustellungsbevollmächtigten bekannt gegeben worden, sodass die Einspruchsentscheidung bereits am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als übermittelt galt (§ 122 Abs. 2 Nr. 1 AO). Die Rechtsbehelfsbelehrung war daher unrichtig.
Während die Familienkasse meinte, dass dann die fehlerhaft genannte, etwa zweimonatige günstigere Frist einzuhalten sei, entschied der BFH, dass es nicht darauf ankomme, ob die Rechtsbehelfsbelehrung zugunsten oder zuungunsten des Klägers falsch sei. Unrichtige Belehrungen führen stets zur Jahresfrist.
4. Wenn der Kläger innerhalb der (wegen falscher Rechtsbehelfsbelehrung) auf ein Jahr verlängerten Klagefrist seinen Antrag wiederholt und dieser von der Familienkasse unter Hinweis auf den bestandskräftigen Bescheid nochmals abgelehnt ...