Leitsatz
1. Ein Verlangen des FA, ein Vermögensverzeichnis vorzulegen und dessen Richtigkeit an Eides statt zu versichern, ist nicht allein deshalb nichtig, weil die Schonfrist des § 284 Abs. 4 S. 1 AO nicht gewahrt worden ist, ohne dass dafür ein rechtfertigender Grund vorliegt.
2. Wird das Verlangen vom FA aus diesem Grund zurückgenommen, entfällt die verjährungsunterbrechende Wirkung des Verlangens dadurch grundsätzlich nicht.
3. Eine von der Behörde dem Zahlungspflichtigen bekannt gegebene Maßnahme, aus der sich der Wille der Behörde ergibt, an ihrer Steuerforderung festzuhalten und diese durchzusetzen, unterbricht die Zahlungsverjährung auch dann, wenn es sich bei dieser Maßnahme um einen Verwaltungsakt handelt, der rechtswidrig oder nichtig oder rückwirkend aufgehoben worden ist.
Normenkette
§ 213 Abs. 1 S. 1, § 228, § 284 Abs. 4 S. 1, § 125 Abs. 1 AO
Sachverhalt
Ein Steuerpflichtiger schuldete dem FA seit langem (festgesetzte) Steuern. Diese waren vor Ablauf des Jahrs 1994 fällig geworden. Da sie nicht gezahlt worden sind, hatte das FA 1995 zur Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung geladen, den Termin jedoch später wieder aufgehoben und das Vollstreckungsverfahren insoweit eingestellt. Es hatte festgestellt, dass von dem Steuerpflichtigen bereits kurz zuvor eine eidesstattliche Versicherung abgegeben worden war und eine erneute Abgabe daher nach § 284 Abs. 4 S. 1 AO (früher § 284 Abs. 3 S. 1 AO) nicht verlangt werden durfte, weil die dort aufgestellten (Ausnahme-)Voraussetzungen nicht vorlagen.
Hat diese Vollstreckungsmaßnahme zur Unterbrechung der Zahlungsverjährung geführt? Das FA nimmt das an und hat hierüber den angefochtenen Abrechnungsbescheid erlassen. Der Steuerpflichtige hingegen meint, die Vollstreckungsmaßnahme sei nichtig gewesen und überdies aufgehoben worden und könne aus beiden Gründen keine Unterbrechungswirkung haben.
Entscheidung
Der BFH hat dem FA im Ergebnis recht gegeben. Aus der Aufforderung, ein Vermögensverzeichnis vorzulegen und seine Richtigkeit und Vollständigkeit vor dem FA an Eides statt zu versichern, ist – selbst wenn dieses Verlangen aufgrund des § 284 Abs. 4 AO gem. § 125 Abs. 1 AO nichtig gewesen sein oder seine Rechtswirkung, den Adressaten zu entsprechenden Handlungen zu verpflichten, aufgrund der Entscheidung des FA, den für die Abgabe der Versicherung und des Vermögensverzeichnisses anberaumten Termin aufzuheben, (möglicherweise sogar rückwirkend) verloren haben sollte – der Entschluss des FA zu ersehen gewesen, an seinen Steuerforderungen festzuhalten und diese mit den gebotenen Mitteln gegen die den zahlungsunwilligen Steuerpflichtigen durchzusetzen. Dadurch ist die Frist des § 228 Abs. 1 AO unterbrochen worden, weil darin eine Geltendmachung des Anspruchs i.S.d. § 231 Abs. 1 S. 1 AO liegt.
Hinweis
1. Die Unterbrechung der Zahlungsverjährung tritt aufgrund bestimmter, in § 231 Abs. 1 S. 1 AO aufgeführter Handlungen des FA ein. Das Gesetz knüpft dabei allein an die Tatsache eines bestimmten Handelns, aber nicht daran an, ob dieses dem Gesetz entsprach (vgl. BFH, Urteil vom 31.03.1976, I R 123/74, Haufe-Index 71886, BStBl II 1976, 510). Die Zahlungsverjährung wird also auch durch eine Maßnahme unterbrochen, die rechtswidrig und deshalb aufzuheben ist.
Das soll nach dem Schrifttum allerdings dann nicht gelten, wenn es sich bei der Maßnahme um einen Verwaltungsakt handelt und dieser (nicht nur schlicht rechtswidrig, sondern) nichtig ist. Dahinter steckt die vielleicht etwas vordergründige Idee, ein nichtiger Verwaltungsakt habe keine Rechtswirkungen, also auch keine Unterbrechungswirkung. Der BFH hat das dahin stehen lassen; es hängt davon ab, ob man die Unterbrechungswirkung als (weitere, gesetzliche) Folge der Regelungswirkung der in § 231 AO benannten Verwaltungsakte oder als Folge des Erlasses eines Verwaltungsakts ansieht, was zu tun einiges für sich haben dürfte.
2. Die in § 231 Abs. 1 AO bezeichneten Maßnahmen sind freilich nicht alle Verwaltungsakte. Kein Verwaltungsakt ist insbesondere die dort genannte "Geltendmachung des Anspruchs". Wenn nun mittels eines Verwaltungsakts der Steueranspruch "geltend gemacht" wird, muss dann nicht dies die Zahlungsverjährung ungeachtet dessen unterbrechen, ob der Verwaltungsakt im Übrigen die mit ihm intendierte (in ihm angeordnete) Rechtswirkung entfaltet – genauso wie wenn die Geltendmachung des Anspruchs durch schlichten Brief erfolgt wäre? Eben dies hat der BFH angenommen! Es gilt selbstredend nicht nur für die Aufforderung zur eidesstattlichen Versicherung, sondern z.B. auch für andere Vollstreckungsverwaltungsakte.
3. Nichtig ist nach § 125 Abs. 1 AO bekanntlich ein Verwaltungsakt, der an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dessen Fehlerhaftigkeit offenkundig ist. Schwerwiegend ist ein Fehler insbesondere dann, wenn ein Verwaltungsakt etwas anordnet oder verlangt, was anzuordnen oder zu verlangen das Gesetz unter keinen Umständen jemals zulässt. Ein Verwaltungsakt ist folglich nicht schon deshalb nichtig, weil...