Prof. Dr. Reinhold Hölscher, Dr. Christian Hornbach
1.1 Kapitalveränderungen im Sanierungsfall
Sanierungswürdigkeit und Sanierungsfähigkeit
Vor der finanziellen Sanierung eines Unternehmens mithilfe einer Kapitalerhöhung stehen die Kapitalgeber grundsätzlich vor der Frage, ob das Unternehmen sanierungswürdig und sanierungsfähig ist. Die Entscheidungssituation für alte Kapitalgeber besteht folglich darin, ob das bereits zweifelhaft gewordene Kapital durch Einsatz von neuem Kapital noch zu retten ist bzw. zu einer angemessenen Rentabilität geführt werden kann. Die spezifische Entscheidungssituation des Eigenkapitalgebers unterscheidet sich dabei von der des Fremdkapitalgebers.
Kapitalerhöhung nach Kapitalherabsetzung
Für die finanzielle Sanierung eines Unternehmens durch eine Kapitalerhöhung ist regelmäßig zunächst eine (Eigen- oder Fremd-)Kapitalherabsetzung durchzuführen. Die Kapitalherabsetzung bildet die Voraussetzung dafür, dass dem Unternehmen im Zuge einer sich daran anschließenden Kapitalerhöhung neue Finanzmittel zur Verfügung gestellt werden, die es zur Entspannung der Liquiditätssituation oder zur Beseitigung der Verlustquellen benötigt. Eine Kapitalerhöhung mit vorangegangener Kapitalherabsetzung wird deshalb häufig als doppelstufige Sanierung bezeichnet.
Herabsetzung von Eigenkapital oder von Fremdkapital
Bei der doppelstufigen Sanierung ist es rein begrifflich unerheblich, ob die herabgesetzten oder neu zugeführten Kapitalanteile Eigen- oder Fremdkapitalcharakter besitzen. So kann grundsätzlich sowohl das Eigen- als auch das Fremdkapital herabgesetzt werden. Anschließend können einerseits alte oder neue Anteilseigner neues Eigenkapital, anderseits aber auch alte oder neue Fremdkapitalgeber neue Kredite zur Verfügung stellen. Soll das zugeführte Eigen- oder Fremdkapital wirksam zur Beseitigung von (leistungswirtschaftlichen oder finanzwirtschaftlichen) Krisenursachen eingesetzt werden, ist es erforderlich, dass dem zu sanierenden Unternehmen das Kapital langfristig zur Verfügung steht, da andernfalls in der Zukunft erneut Liquiditätsschwierigkeiten auftreten würden.
Verringerung von liquiditätsbelastenden Zins- und Tilgungsverpflichtungen
Eine Unternehmenssanierung durch eine doppelstufige Sanierung erscheint insbesondere dann Erfolg versprechend, wenn durch eine der Kapitalerhöhung vorausgegangene Herabsetzung des Fremdkapitals die laufenden liquiditätsbelastenden Zins- und Tilgungsverpflichtungen des Unternehmens reduziert werden können. Sofern dabei schon im ersten Schritt durch Beseitigung der Überschuldung und/oder durch Verbesserung der angespannten Liquiditätssituation die finanzielle Sanierung vollzogen wird, stehen dem Unternehmen die über die Kapitalerhöhung zufließenden Mittel anschließend zur Umsetzung der notwendigen strategischen Sanierungsmaßnahmen zur Verfügung, z. B. zur Neuausrichtung der leistungswirtschaftlichen Beschaffungs-, Produktions- und Absatzprozesse.
1.2 Entscheidungssituation des Eigenkapitalgebers
Positive Rendite
Die Entscheidungssituation eines Eigenkapitalgebers kann — bei Reduktion auf die Rendite als den einzigen ökonomischen Entscheidungsparameter — folgendermaßen beschrieben werden: Bringt beispielsweise ein Altaktionär über eine Kapitalerhöhung in eine Aktiengesellschaft neues Eigenkapital ein, so erwartet er hieraus neben dem Vermögenserhalt einen Ertrag durch Wertsteigerung seiner Anteile und/oder durch Dividendenausschüttungen. Außerdem hofft er, auch mit den alten Unternehmensanteilen noch eine positive Rendite zu erzielen.
Vermeidung des Totalverlustes
Stellt der Altaktionär dem Krisenunternehmen kein neues Eigenkapital zur Verfügung, riskiert er dagegen den totalen oder zumindest teilweisen Verlust seines zuvor eingelegten Kapitals. Da in dieser Entscheidungssituation davon auszugehen ist, dass der Kapitalgeber das zur Disposition stehende neue Kapital frei zur Verfügung hat, ist die erwartete Rendite aus dem Sanierungsunternehmen mit einer Alternativanlage am Geld- und Kapitalmarkt zu vergleichen.
Bei diesem Vorteilhaftigkeitsvergleich ist der mögliche (Total-)Verlust aus dem ursprünglich zur Verfügung gestellten Kapital zu berücksichtigen. Ein Alteigentümer wird somit dann neues Kapital einlegen, wenn der Ertrag der Altanteile bei der Unternehmensfortführung zusammen mit dem Ertrag der neuen Anteile höher ist als ein alternativer Ertrag von Geld- und Kapitalmarktanlagen zuzüglich der Liquidationserlöse, die bei Verwertung der Vermögensgegenstände des Krisenunternehmens nach Befriedigung der Gläubigeransprüche übrig bleiben und auf den Alteigentümer entf...