Sachverhalt
Bei dem Vorabentscheidungsersuchen ging es um die Frage, ob und inwieweit die Nichtbesteuerung des Betriebs von Parkhäusern durch Gebietskörperschaften zu (größeren) Wettbewerbsverzerrungen im Sinne von Art. 4 Abs. 5 Unterabsatz 2 der 6. EG-Richtlinie (ab 1.1.2007: Art. 13 Abs. 1 Unterabsatz 2 MwStSystRL) führt. Im Ausgangsverfahren ging es um vier britische Gebietskörperschaften, die Parkhäuser betreiben und damit im Wettbewerb mit Privatanbietern stehen. In der Vergangenheit hatten diese Körperschaften die Umsatzbesteuerung des Betriebs der Parkhäuser akzeptiert. Nach Ergehen des EuGH-Urteils in der Sache C-446/98 (EuGH v. 14.12.2000, C-446/98 [Câmara Municipal do Porto]) vertraten sie jedoch offenbar die Auffassung, der Betrieb der Parkhäuser erfolge (nicht steuerbar) im Rahmen der öffentlichen Gewalt. Der Gesamtbetrag der in vergleichbaren Fällen im ganzen Vereinigten Königreich eingereichten Rückerstattungsanträge beläuft sich auf 129 Millionen GBP. Hinsichtlich des Gesamtbetrags aus allen Beschwerden, die möglicherweise eingereicht werden, wurde in der Vorlageentscheidung darauf hingewiesen, dass es im Vereinigten Königreich etwa 468 lokale Gebietskörperschaften gebe.
Das Vorlagegericht stellte dem EuGH drei Fragen, wie der Begriff der größeren Wettbewerbsverzerrungen im Sinne der Richtlinienvorschrift zu verstehen ist:
- Ist der Begriff "Wettbewerbsverzerrungen" bezogen auf die einzelne öffentliche Einrichtung zu bestimmen, so dass der Begriff - im vorliegenden Fall - mit Bezug auf das Gebiet oder die Gebiete zu bestimmen ist, in dem oder in denen die betreffende Einrichtung Parkeinrichtungen zur Verfügung stellt, oder mit Bezug auf das gesamte Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats?
- Welche Bedeutung hat der Begriff "führen würde"? Insbesondere, welcher Wahrscheinlichkeitsgrad oder welches Maß an Gewissheit ist zur Erfüllung dieser Voraussetzung erforderlich?
- Welche Bedeutung hat der Begriff "größere"? Insbesondere, sind damit Auswirkungen auf den Wettbewerb, die mehr als "geringfügig" oder de minimis sind, "erhebliche" Auswirkungen oder "außergewöhnliche" Auswirkungen gemeint?
Das Gericht wollte also erfahren, für welchen territorialen Bereich (Einzugsgebiet des einzelnen Parkhausbetreibers oder gesamtes Gebiet des Mitgliedstaates) eine etwaige Wettbewerbsverzerrung zu prüfen ist, welches Maß an Wahrscheinlichkeit einer Wettbewerbsverzerrung bestehen muss und was "größere" Wettbewerbsverzerrungen im Sinne der Richtlinienvorschrift bedeutet.
Der EuGH war damit zum ersten Mal ausdrücklich aufgerufen, den Begriff der größeren Wettbewerbsverzerrungen gemäß Art. 4 Abs. 5 Unterabsatz 2 der 6. EG-Richtlinie (ab 1. 1. 2007: Art. 13 Abs. 1 Unterabsatz 2 MwStSystRL) auszulegen. Nach Art. 4 Abs. 5 Unterabsatz 1 der 6.EG-Richtlinie (ab 1. 1. 2007: Art. 13 Abs. 1 Unterabsatz 1 MwStSystRL) gelten Staaten, Länder, Gemeinden und sonstigen Einrichtungen des öffentlichen Rechts nicht als Steuerpflichtige (Unternehmer), soweit sie Tätigkeiten ausüben oder Leistungen erbringen (Umsätze bewirken), die ihnen im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegen. Das gilt auch dann, wenn sie im Zusammenhang mit diesen Tätigkeiten (oder Umsätzen) z.B. Gebühren, Beiträge oder sonstige Abgaben erheben. Für die Behandlung als Nichtsteuerpflichtige müssen also zwei Voraussetzungen erfüllt sein: Die Tätigkeiten müssen durch eine Einrichtung des öffentlichen Rechts und im Rahmen der öffentlichen Gewalt ausgeübt werden.
Das Merkmal der Tätigkeit "im Rahmen der öffentlichen Gewalt" ist nach der bisherigen Rechtsprechung des EuGH nicht nach dem Inhalt, sondern nach der Form der Tätigkeit zu beurteilen, also danach, ob die Tätigkeit dem Benutzer gegenüber öffentlich-rechtlich oder privatrechtlich ausgestaltet ist. Der Gerichtshof formuliert dies so, dass die Einrichtungen öffentliche Gewalt ausüben, wenn sie dabei im Rahmen der eigens für sie geltenden rechtlichen Regelungen tätig werden. Handeln sie dagegen unter den gleichen rechtlichen Bedingungen wie private Wirtschaftsteilnehmer, so kann man nicht von einer Tätigkeit "im Rahmen der öffentlichen Gewalt" ausgehen. Es ist Sache jedes Mitgliedstaates, die geeignete Gesetzestechnik zu wählen, um die in Artikel 4 Abs. 5 der 6. Richtlinie (ab 1. 1. 2007: Art. 13 MwStSystRL) aufgestellte Regel in sein innerstaatliches Recht umzusetzen (vgl. EuGH, Urteil v. 17. 19. 1989, verb. Rs 231/87 und 129/88 [Comune di Carpaneto Piacentino und andere]).
Ist eine Einrichtung des öffentlichen Rechts, die Tätigkeiten im Rahmen der öffentlichen Gewalt ausübt, nach den geschilderten Kriterien nicht als Steuerpflichtige zu behandeln, dann gilt sie nach Artikel 4 Abs. 5 Unterabsatz 2 der 6. EG-Richtlinie (ab 1. 1. 2007: Art. 13 Abs. 1 Unterabsatz 2 MwStSystRL), wenn dies zu "größeren Wettbewerbsverzerrungen führen würde", gleichwohl als Steuerpflichtige. Was unter größeren Wettbewerbsverzerrungen zu verstehen ist, hatte der EuGH bislang nicht festgelegt. Bisher hatte er entschieden, dass die Richtlinienvorschrift die...