Leitsatz
Die Klageerhebung unter Verwendung eines Falschnamens ist unzulässig, da die Identität des Klägers nicht feststeht. Es genügt nicht, dass sich eine Klage, die von einer Person unter einem Falschnamen erhoben worden ist, zweifelsfrei der Person zuordnen lässt, die den Falschnamen benutzt und dass gerichtliche Schreiben der mit dem Falschnamen bezeichneten Person tatsächlich zugehen.
Normenkette
§ 65 Abs. 1 Satz 1 FGO
Sachverhalt
Die Klägerin bezog ab September 2015 unter dem Falschnamen A.P. als vermeintlich bangladeschische Staatsangehörige für drei Kinder Kindergeld unter den Voraussetzungen des § 62 Abs. 2 Nr. 3 EStG a.F. Sie hatte der Familienkasse den Verlust ihres Arbeitsplatzes nicht angezeigt und in der Folgezeit für sich und die drei Kinder Leistungen nach dem SGB II bezogen, bei deren Ermittlung das Kindergeld als Einkommen angerechnet wurde. Nachdem die Familienkasse von der fehlenden Erwerbstätigkeit Kenntnis erlangt hatte, hob sie die Kindergeldfestsetzung ab Februar 2016 auf und forderte das überzahlte Kindergeld i.H.v. 11.574 EUR zurück.
Auf den Erlassantrag hin erließ die Familienkasse nur die Forderung für Februar 2016, da die Klägerin ihre Mitwirkungspflichten verletzt habe.
Die Klage hatte im Wesentlichen Erfolg (FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 12.12.2018, 3 K 3168/18, Haufe-Index 12765394). Das FG verpflichtete die Familienkasse, den Kindergeldrückforderungsanspruch i.H.v. 11.113,50 EUR zu erlassen.
Entscheidung
Die Revision der Familienkasse führte zur Aufhebung des FG-Urteils und zur Verwerfung der Klage; sie war unzulässig, weil unter einem Falschnamen erhoben.
Hinweis
1. Die Klage muss Kläger und Beklagten bezeichnen. Dabei handelt es sich um eine von Amts wegen zu prüfende Sachentscheidungsvoraussetzung.
2. Auf welche Weise der Kläger zu bezeichnen ist, regelt § 65 Abs. 1 Satz 1 FGO nicht.
Der BFH weist jedoch darauf hin, dass an der Rechtsfindung im finanzgerichtlichen Verfahren – anders als im Zivilprozess – auch ein öffentliches Interesse besteht und diese daher vom Untersuchungsgrundsatz geprägt ist und die Bezeichnung der Beteiligten in der Klageschrift nicht nur für die zweifelsfreie Identifizierung der Prozessbeteiligten und die Fixierung des Prozessverhältnisses, sondern auch für eine ordnungsgemäße und sachgerechte Prozessführung von Bedeutung ist. Bei natürlichen Personen ist im Regelfall neben der Angabe der Adresse auch die des Familiennamens und des Vornamens erforderlich; die Bezeichnung muss so bestimmt sein, dass jeder Zweifel an der Person des Klägers ausgeschlossen ist.
3. Zulässig ist die Benutzung eines Künstlernamens (§ 3 Abs. 1 Nr. 5 Bundesmeldegesetz), der in bestimmten Lebensbereichen geführt wird und dort anstelle des Familiennamens die Identität der Person ausdrückt.
4. Die Identität einer Person wird nicht nur durch den von ihr verwendeten Namen definiert, sondern auch durch weitere Elemente wie Geburtsname, Tag und Ort der Geburt, Geburtsland, Anschrift sowie Staatsangehörigkeit (§ 8 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 des Gesetzes zur Verbesserung des Onlinezugangs zu Verwaltungsleistungen). Deshalb genügt es nicht, dass sich eine unter einem Falschnamen erhobene Klage zweifelsfrei der Person zuordnen lässt, die den Falschnamen benutzt, und gerichtliche Schreiben dieser Person tatsächlich zugehen. Steht die wahre Identität eines Klägers wegen der Verwendung eines Falschnamens nicht fest, ist er nicht i.S.v. § 65 Abs. 1 Satz 1 FGO bezeichnet.
5. Angemerkt sei, dass die Einbürgerung nach Ablauf von zehn Jahren nicht mehr zurückgenommen werden kann (§ 35 Abs. 3 StAG). Erst dann kann der infolge der Identitätstäuschung Eingebürgerte seine wahre Identität (z.B. die Herkunft aus einem sicheren Staat) risikolos aufdecken.
6. Zur Frage, wie die Sache – Erlass einer Kindergeldrückforderung wegen Anrechnung auf nachrangige Sozialleistungen – bei unterstellter Zulässigkeit der Klage zu beurteilen wäre, siehe z.B. BFH, Urteil vom 27.5.2020, III R 45/19, BFH/NV 2020, 1283; zur dafür (un-)zuständigen Behörde siehe nachfolgend BFH, Urteil vom 25.2.2021, III R 36/19.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 18.2.2021 – III R 5/19