Prof. Dr. Andreas Herlinghaus
Leitsatz
Eine (für die Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde erforderliche) Selbstbetroffenheit des Erblassers durch bestimmte Regelungen des Erbschaftsteuergesetzes kann nicht angenommen werden, wenn die beanstandete Norm den Erblasser nicht in einer vernünftigerweise konkret anstehenden Entscheidungssituation zu bestimmten Dispositionen im Rahmen seiner Testierfreiheit veranlasst und er nicht plausibel dartun kann, dass er diese ansonsten nicht oder wesentlich anders getroffen hätte.
Normenkette
ErbStRG, ErbStG, Art. 2 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 GG
Sachverhalt
Die erste Beschwerdeführerin bewohnt gemeinsam mit ihrem Neffen ein Zweifamilienhaus (Verkehrswert ca. 175 000 EUR) und verfügt daneben über ein kleines Barvermögen. In ihrem Testament setzte sie ihren Neffen zum Alleinerben ein.
Der zweite Beschwerdeführer ist verheiratet und hat fünf Kinder. Er betreibt als Mehrheitsgesellschafter einen mittelständischen Produktionsbetrieb in der Rechtsform einer GmbH (35 Arbeitnehmer, Betriebsvermögen 23 Mio. EUR). Das Unternehmen soll von den drei Söhnen fortgeführt werden, die bereits heute in dem Betrieb mitarbeiten. Zu dem Vermögen des Beschwerdeführers zu 2. gehören ferner ein selbst genutztes Familienheim (Wohn- und Nutzfläche von ca. 300 qm, Verkehrswert 1,0 Mio. EUR) sowie weiteres Vermögen i.H.v. 4,5 Mio. EUR.
Die dritte Beschwerdeführerin ist unverheiratet und kinderlos. Ihr Vermögen besteht nach ihren Angaben aus mehreren Wohn- und Gewerbeimmobilien (Verkehrswert ca. 4,6 Mio. EUR, jährliche Erträge 56 000 EUR). Das Vermögen sollen einmal die Neffen und Nichten erben.
Die drei Beschwerdeführer wandten sich mit ihren Verfassungsbeschwerden gegen die unterschiedlichen Steuersätze, Freibeträge und Steuerbefreiungen nach dem ErbStG i.d.F. des ErbStRG, durch die sie als Erblasser unmittelbar in der Ausübung ihrer Testierfreiheit betroffen seien.
Entscheidung
Das BVerfG hat die Verfassungsbeschwerden aus den unter Praxis-Hinweise genannten Gründen nicht zur Entscheidung angenommen.
Hinweis
1. Bei einer unmittelbar gegen eine gesetzliche Vorschrift gerichteten Verfassungsbeschwerde muss der Beschwerdeführer u.a. ausreichend substanziiert geltend machen, durch die angegriffene Norm selbst, gegenwärtig und unmittelbar verletzt zu sein. Das Erfordernis der Selbstbetroffenheit verlangt, dass gerade der Beschwerdeführer in eigenen Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten betroffen ist. Das ist natürlich der Fall, wenn er Adressat der angegriffenen Maßnahme der öffentlichen Gewalt ist. Eine Selbstbetroffenheit ist aber auch dann gegeben, wenn das Gesetz an Dritte gerichtet ist und eine hinreichend enge Beziehung zwischen der Grundrechtsposition des Beschwerdeführers und der Maßnahme besteht. Eine solche hinreichend enge Beziehung ist allerdings nur bei einer rechtlichen Betroffenheit des Beschwerdeführers anzunehmen, während eine nur (mittelbar wirkende) faktische Beeinträchtigung im Sinn einer bloßen Reflexwirkung nicht ausreicht.
2. Ihre rechtliche Beeinträchtigung durch die Vorschriften des ErbStRG (Gesetz zur Reform des Erbschaftsteuer- und Bewertungsrechts vom 24.12.2008, BGBl I 2008, 3018) konnten die Beschwerdeführer im Rahmen ihrer Verfassungsbeschwerden nicht darlegen.
a) |
Nach Auffassung des BVerfG ist nicht erkennbar, dass die Beschwerdeführer als Erblasser durch die Erbschaftsteuer in ihrer Testierfreiheit selbst betroffen wären. Zwar erstreckt sich der personale Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 S. 1 2. Alt. GG gerade auf den Erblasser und ergänzt die Erbrechtsgarantie insoweit die Eigentumsgarantie. Entsprechend darf die Testierfreiheit durch die Erbschaftsteuer nicht ausgehöhlt werden. Allerdings vermag nicht schon "jeder durch ökonomische Günstigkeitserwägungen veranlasste Einfluss auf die Testierentscheidung des Erblassers" im Hinblick auf einen künftigen Erbfall eine die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde rechtfertigende Selbstbetroffenheit durch das Erbschaftsteuerrecht zu begründen. Würde man dies anders sehen, so könnte "jedermann zu jeder Zeit als potenzieller Erblasser unmittelbar Verfassungsbeschwerde gegen Bestimmungen des Erbschaftsteuerrechts erheben". |
b) |
Eine hinreichende Selbstbetroffenheit des Erblassers kann aus Sicht des BVerfG nicht angenommen werden, wenn die beanstandete Norm den Erblasser nicht in einer vernünftigerweise konkret anstehenden Entscheidungssituation zu bestimmten Dispositionen im Rahmen seiner Testierfreiheit veranlasst und er nicht plausibel dartun kann, dass er diese ansonsten nicht oder wesentlich anders getroffen hätte. Dies konnten die Beschwerdeführer nicht substanziiert dartun, sondern blieb – ganz im Gegenteil – ihre Testierfreiheit in rechtlicher Hinsicht durch die Regelungen des ErbStG in seiner gegenwärtigen Ausgestaltung "völlig unberührt". Immerhin ist es allen potenziellen Erblassern nach wie vor unbenommen, als Erben einzusetzen, wen sie wollen, und frei über die Zuwendung ihrer Vermögensgegenstände zu entscheiden. Auch eine "Au... |