Prof. Dr. Martin Weiblen, Dipl.-Ing. Angela Wenzel
Klassische Abrechnungsmethoden zielorientiert einsetzen
Wie bereits ausgeführt, müssen die Leistungen rechtlich unabhängiger Unternehmen innerhalb einer Value Chain untereinander "abgerechnet" werden:
- Zum einen erfordern dies die handels- und steuerrechtlichen Vorschriften für gewerbliche Unternehmen. Diese Vorschriften sind im internationalen Verkehr durchaus unterschiedlich, orientieren sich aber zumeist am klassischen Modell einer Marktbeziehung ("arm's length principle") bzw. am Modell der Zuschlagskalkulation ("cost plus") und nicht am neuen Modell einer auf das gemeinsame Ziel der Wertgenerierung ausgerichteten Wertschöpfungskette. Sie sind deshalb pragmatisch auszulegen und anzuwenden, ggf. mit Korrekturmechanismen, Ergänzungszahlungen u. Ä., um letztendlich die wirklichen Wertschöpfungsbeiträge physisch, d. h. in Geld, zu den Einzelunternehmen zu transportieren.
- Zum anderen erfordert es – wie schon ausgeführt – die Finanzierung der Wertschöpfungsaktivitäten durch die Beteiligten, dass über rechtzeitige Abrechnung und Bezahlung ihrer Beiträge ein entsprechender Kassenfluss entsteht. Gerade das Working Capital Management der Beteiligten wird durch die Gestaltung einer Wertschöpfungskette in vielfältiger Weise berührt – und wirft naturgemäß Finanzierungsfragen auf. Ahlichs/Knupperts zeigen Ansätze für das Working Capital Management in prozessorientierten Unternehmen auf, die ggf. übertragen werden können. Das Gesagte gilt ebenso für die Finanzierung ggf. notwendiger Sachinvestitionen und die Finanzierung immaterieller Güter für die Zwecke einer Wertschöpfungskette.
In der Praxis erfolgt die Leistungsverrechnung zwischen den Beteiligten aus den beiden oben genannten Gründen über Transferpreise und/oder Transferzahlungen, die jedoch nun neu interpretiert werden müssen. Ein Ansatz wäre z. B. die Verwendung von Transaktionskostensätzen. Auf jeden Fall sollte der Value Chain Controller bei der Konzipierung der Formen der Leistungsverrechnung und bei den faktischen Abrechnungen zumindest mitwirken und dies nicht allein den durch herkömmliche Denkweisen geprägten Experten überlassen. Insbesondere muss er aber die Auswirkungen der gewählten Abrechnungsverfahren auf die lokalen Rechenwerke der Kettenmitglieder beobachten und sofort gegensteuern, wenn hieraus fehlerhafte Managemententscheidungen resultieren.
Verrechnungspreise nicht zur Steuerung nutzen
Verrechnungspreise lassen i. d. R. (auch unrealisierte) Zwischengewinne entstehen, die die Beteiligten aufgrund hergebrachter Denkweisen zu (im Sinne der Kette) suboptimalen Handlungen veranlassen können. Deshalb dürfen sie in der Value Chain keine Steuerungsfunktion haben; vielmehr sind allein die Managementrechnungen des Controllers entscheidungsrelevant.
Steuerliche Effekte können Zusatz-Wertbeiträge schaffen
Zu bedenken sind ggf. die steuerrechtlichen Wirkungen der gewählten Verrechnungen, da diese die Steuerlast der Beteiligten verändern können. Steuerliche Effekte und Optimierungen sollten selbstverständlich auch in Wertschöpfungsketten genutzt werden, aber im Sinne der Erfolgssteuerung einer Value Chain als "Zusatz-Wertbeitrag" gelten und entweder den betroffenen Kettenmitgliedern überlassen oder an alle Kettenmitglieder (einvernehmlich) verteilt werden. Von Ausnahmen abgesehen, wäre es ein Schritt zu viel, wollte man im globalen Maßstab (mögliche) Nach-Steuern-Effekte zur Voraussetzung für die Bildung einer Value Chain machen. Wenn sich eine solche Kette "vor Steuern" nicht lohnt, d. h., wenn auf dieser Basis kein Wert geschaffen wird, sollte man es lieber lassen. Steuervorteile sind, insbesondere im globalen Kontext, zu flüchtig, um hierauf strategische Partnerschaften – wie es die meisten Wertschöpfungsketten sind – aufzubauen.