Leitsatz
Die Rückabwicklung eines noch nicht beiderseits vollständig erfüllten Kaufvertrags ist aus der Sicht des früheren Veräußerers keine Anschaffung der zurückübertragenen Anteile, sondern sie führt bei ihm zum rückwirkenden Wegfall eines bereits entstandenen Veräußerungsgewinns; beim früheren Erwerber liegt keine Veräußerung vor (entgegen BFH-Urteil vom 21. Oktober 1999, I R 43, 44/98, BFHE 190, 377, BStBl II 2000, 424, insoweit aufgegeben).
Normenkette
§ 17 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 EStG
Sachverhalt
Streitig war die Höhe eines Veräußerungsgewinns gemäß § 17 EStG. Die Klägerin machte als Erbin ihres Mannes Anschaffungskosten geltend, die dieser einige Jahre zuvor aus der gescheiterten und zurückabgewickelten Veräußerung derselben Beteiligung i.H.d. damals vereinbarten Kaufpreises gehabt habe.
Das FA lehnte dies ab, weil die Rückabwicklung keine Anschaffung darstelle, und zog lediglich die historischen Anschaffungskosten ab, die der Ehemann tatsächlich getragen hatte.
Entscheidung
Das FG (Niedersächsisches FG, Urteil vom 26.11.2014, 9 K 10128/11) hat die Klage abgewiesen.
Auch die Revision der Klägerin hatte keinen Erfolg. Der BFH hat die Rechtsauffassung des FA bestätigt, wonach die Rückabwicklung eines Veräußerungsgeschäfts beim Veräußerer keine Anschaffung ist, sondern zum rückwirkenden Wegfall des Veräußerungsgewinns führt.
Hinweis
Das Besprechungsurteil leistet einen Beitrag zur Rechtsvereinheitlichung:
1. Der I. und der IX. Senat des BFH hatten in der Vergangenheit unterschiedlich über die Rechtsfolgen bei der Rückabwicklung von Kaufverträgen geurteilt:
a) Der I. Senat hatte beim Erwerber einer wesentlichen Beteiligung eine Veräußerung bejaht, nachdem dieser seine Beteiligung im Zuge der Rückabwicklung des Vertrags auf den Veräußerer zurückübertragen hatte (vgl. das im Leitsatz zitierte Urteil).
b) Demgegenüber hatte der IX. Senat in vergleichbaren Fällen beim Veräußerer eine (erneute) Anschaffung verneint, weil die Rückabwicklung eines Vertrags keine Anschaffung, sondern ein nicht marktoffenbarer Vorgang sei.
c) Lag insofern eine Divergenz vor – oder lässt sich die unterschiedliche Handhabung damit erklären, dass für die Anschaffung und die Veräußerung Unterschiedliches gelten kann?
Zweimal hat sich der IX. Senat in der Vergangenheit von dem Urteil des I. Senats abgegrenzt, ohne es jedoch grundsätzlich infrage zu stellen (vgl. BFH, Beschluss vom 14.4.2003, IX B 225/02 und BFH, Urteil vom 27.6.2006, IX R 47/04, BFHE 214, 267, BStBl II 2007, 162, BFH/NV 2006, 2174).
d) Nun ist die Rechtslage im Sinne der Rechtsprechung des IX. Senats geklärt. Eine Divergenz lässt sich insofern also nicht mehr begründen.
2. Die Rückabwicklung eines Anschaffungsgeschäfts ist für beide Beteiligte ein steuerlich zurückwirkendes Ereignis.
a) Beim Veräußerer bewirkt sie, dass ein bereits entstandener Veräußerungsgewinn rückwirkend entfällt. Insofern wirkt die Rückabwicklung des Vertrags auf den Zeitpunkt der Entstehung des Veräußerungsgewinns. Dies schließt es aus, den Vorgang zugleich als Anschaffung zu behandeln.
Ist ein Veräußerungsgewinn noch nicht entstanden, hat die Rückabwicklung keine steuerlichen Folgen für die Vergangenheit; eine Anschaffung liegt aber ebenfalls nicht vor.
b) Beim Erwerber entfällt materiell-rechtlich rückwirkend der Anschaffungsvorgang. Eine Veräußerung liegt dagegen nicht vor. Insofern hat der I. Senat sein Urteil von 1999 nun aufgegeben.
3. Zur Begründung hat der BFH auf die Rechtsprechung des Großen Senats abgestellt, nach der Änderungen, die sich auf die Höhe des Veräußerungsgewinns auswirken, rückwirkend zu berücksichtigen sind (Stichtagsprinzip), solange der Vertrag noch nicht beiderseits vollständig erfüllt ist, und nach diesem Zeitpunkt, wenn der Grund für die Änderung im ursprünglichen Geschäft angelegt war.
Diese Rechtsprechung gelte nicht nur für Änderungen, die sich auf die Höhe des Veräußerungsgewinns auswirken, sondern auch für Änderungen, die den Veräußerungsvorgang insgesamt entfallen lassen.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 6.12.2016 – IX R 49/15