Leitsatz
Die Veräußerung von "gebrauchten" Kapitallebensversicherungen auf dem Zweitmarkt ist als Umsatz im Geschäft mit Forderungen nach § 4 Nr. 8 Buchst. c UStG von der Umsatzsteuer befreit.
Normenkette
§ 4 Nr. 8 Buchst. c, § 10 Abs. 1, § 25a UStG, Art. 135 Abs. 1 Buchst. d EGRL 112/2006 (= MwStSystRL)
Sachverhalt
Die Klägerin erwarb Kapitallebensversicherungen von Privatpersonen (Versicherungsnehmern) zu einem Betrag, der unter der eingezahlten Summe, aber über dem Rückkaufswert der jeweiligen Versicherung lag.
Zivilrechtlich wurde der Erwerb in einer dinglichen oder einer schuldrechtlichen Variante abgewickelt.
- Mit Zustimmung des jeweiligen Versicherers erfolgte entweder eine Vertragsübertragung oder Vertragsübernahme, sodass die Klägerin mit Ausnahme des nach wie vor versicherten Risikos (Leben des Versicherungsnehmers) an die Stelle des Versicherungsnehmers trat (dingliche Variante).
- Soweit eine Zustimmung des Versicherers nicht zu erlangen war, erfolgte der Erwerb durch Abtretung sämtlicher Ansprüche aus den Versicherungsverträgen im Wege einer Treuhänderschaft; hierbei trat die Klägerin nur im Innenverhältnis zum Versicherungsnehmer in die vertraglichen Rechte und Pflichten des Versicherungsnehmers ein, während sich dieser verpflichtete, seine versicherungsvertraglichen Rechte treuhänderisch für die Klägerin auszuüben (schuldrechtliche Variante).
Im Anschluss kündigte die Klägerin die Versicherungsbestandteile, die für die Ablaufleistung unerheblich waren wie z.B. Berufsunfähigkeits- oder Unfallzusatzversicherungen. Außerdem wurden die Verträge entweder auf jährliche Zahlungsweise um‐ oder beitragsfrei gestellt, je nachdem, ob sich weitere Beitragszahlungen im Hinblick auf die Erhöhung der Ablaufleistung rentierten.
Anschließend veräußerte die Klägerin ihre Rechte an den modifizierten Kapitallebensversicherungen auf der Basis von zuvor getroffenen Rahmenvereinbarungen an Fondsgesellschaften. Auch dies erfolgte entweder durch Vertragsübernahme oder durch Abtretung. Bei einer Vertragsübernahme wurde der Erwerber Vertragspartei des Versicherers. Hierfür übertrug die Klägerin zu einem bestimmten Stichtag alle gegenwärtigen und künftigen Rechte, Ansprüche und Pflichten aus der Lebensversicherung (vor allem das Recht, Leistungen in Form von Versicherungsleistungen, Zinsen, Boni, Gewinnanteilen, Rückkaufswerten, Prämienrückzahlungen und Beitragserstattungen zu empfangen) sowie die Pflicht zur Beitragszahlung auf den jeweiligen Erwerber.
Soweit die Klägerin nicht Versicherungsnehmer war und mit dem ursprünglichen Versicherungsnehmer eine Treuhandvereinbarung getroffen hatte, wurde eine Untertreuhandvereinbarung zwischen dem Erwerber und der Klägerin vereinbart. Nach der Treuhandvereinbarung hatte die Klägerin ab dem maßgebenden Stichtag die noch bestehenden Rechte und Pflichten aus der Kapitallebensversicherung als Treuhänder für den Erwerber als Treugeber wahrzunehmen und auszuüben sowie die sich darauf beziehenden Weisungen des Erwerbers zu befolgen.
Die Klägerin ging von nach § 4 Nr. 8 Buchst. c UStG steuerfreien Umsätzen aus. Das FA versagte die Steuerfreiheit und behandelte den von den Zweiterwerben gezahlten Kaufpreis als Gegenleistung für eine steuerpflichtig erbrachte Leistung, aus der die Umsatzsteuer herauszurechnen sei. Einspruch und Klage zum FG (FG München, Urteil vom 27.9.2017, 3 K 3438/14, Haufe-Index 11373576, EFG 2017, 1981) hatten keinen Erfolg.
Entscheidung
Der BFH hob die Entscheidung der Vorinstanz auf und gab der Klage statt. Das FG sei zwar zutreffend von einer einheitlichen Leistung ausgegangen, habe aber den Hauptbestandteil dieser Leistung rechtsfehlerhaft bestimmt. Dieser liege in der Übertragung einer künftigen Geldforderung als Kapitalanlage und sei daher steuerfrei.
Hinweis
1. Mit der Veräußerung der Rechte und Pflichten an zuvor erworbenen und vertraglich angepassten Kapitallebensversicherungen erbringt der Unternehmer eine einheitliche sonstige Leistung.
2. Ob diese einheitliche Leistung steuerfrei oder steuerpflichtig ist, richtet sich nach ihrem charakterbestimmenden Hauptbestandteil. Maßgeblich ist dabei die Interessenlage der am Leistungsaustausch Beteiligten. Diese ist auf die Übertragung der (künftigen) Forderung zum Erwerb einer Kapitalanlage gerichtet, während die übrigen Rechte und Pflichten lediglich der Optimierung der erworbenen Kapitalanlage dienen.
a) Der BFH begründet dies damit, dass das Interesse an einer Kapitalanlage bereits beim Versicherungsnehmer im Vordergrund steht. Die Kapitallebensversicherung bestehe aus einem Risikobeitrag, soweit er sich auf die ungewisse Todesfallleistung bezieht, und einem Sparbeitrag, soweit er sich auf die Ausschüttung des angesparten Versicherungskapitals bezieht. Dabei sieht der BFH im Sparanteil für den Durchschnittsverbraucher den entscheidenden Grund für den Abschluss einer Kapitallebensversicherung.
b) Bleibt beim Verkauf einer Lebensversicherung auf dem Zweitmarkt der Risikoanteil beim Versicherungsnehmer, sodass seine Angehörigen ...