Zusammenfassung
Mit dem Verbraucherstreitbeilegungsgesetz (VSBG) vom 19.2.2016 wurde die Grundlage für die leicht zugängliche, transparente Verbraucherstreitschlichtung außerhalb von Gerichten zusätzlich zu bereits vorhandenen außergerichtlichen Einigungsverfahren geschaffen.
Mit einem Netz von Schlichtungsstellen haben Verbraucher seitdem eine zusätzliche Möglichkeit, Streitigkeiten mit Unternehmern schnell und kostengünstig zu lösen. Insbesondere bei online geschlossenen Verträgen, sei es mit deutschen oder ausländischen Unternehmern, ebneten die europaweit einheitlichen Vorgaben den Weg für Verbraucher, ihre Beschwerden ohne große Hürden zu klären.
Im Juli 2018 ist das Verfahren der zivilprozessualen Musterfeststellungsklage hinzugekommen.
Auslöser war die Richtlinie 2013/11/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21.5.2013 über die alternative Beilegung verbraucherrechtlicher Streitigkeiten (ADR-Richtlinie) und die Verordnung (EU) Nr. 524/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21.5.2013 über die Online-Beilegung verbraucherrechtlicher Streitigkeiten und zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 und der Richtlinie 2009/22/EG (ODR Verordnung).
Diese wurden mit dem "Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie über alternative Streitbeilegung in Verbraucherangelegenheiten und zur Durchführung der Verordnung über Online-Streitbeilegung in Verbraucherangelegenheiten" in deutsches Recht umgesetzt. Seit dem 1.4.2016 galt das Verbraucherstreitbeilegungsgesetz als Kernstück dieser Reform.
2019 wurde das "Gesetz zur Änderung von Vorschriften über die außergerichtliche Streitbeilegung in Verbrauchersachen und zur Änderung weiterer Gesetze" verabschiedet, das im Wesentlichen seit dem 1.1.2020 gilt.
Als weiteres Verbraucherschutzelement ist am 18.7.2018 das Gesetz zur Einführung einer zivilprozessualen Musterfeststellungsklage in Kraft getreten.
1 Musterfeststellungsklage
Der VW-Diesel-Skandal war der Auslöser für die Einführung dieses neuen Verfahrens, das Parallelen mit der amerikanischen Sammelklage aufweist, aber dem deutschen Recht bisher unbekannt war. Diese Klageart wurde vom Gesetzgeber durch das "Gesetz zur Einführung einer zivilprozessualen Musterfeststellungsklage" v. 12.7.2018 eingeführt und hat v.a. zu Ergänzungen der Zivilprozessordnung (ZPO) geführt. Mit der Musterfeststellungsklage soll das Ungleichgewicht zwischen mächtigem Unternehmer und kleinem Verbraucher ausbalanciert werden. Ansprüche gegen Unternehmen, die sich unrechtmäßig verhalten, können so deutlich effektiver geltend gemacht werden. Die betroffenen Verbraucher brauchen keinen eigenen Anwalt, sondern können sich kostenlos zum Klageregister anmelden.
Prozesse
Der erste Prozess dieser Art, in dem sich die Verbraucherzentrale Bundesverband e. V. und der VW-Konzern vor dem OLG Braunschweig gegenüber standen, ist inzwischen durch Klagerücknahme, die Teil eines Vergleichs war, beendet.
Weitere Klagen, z.B. zu den Themen wie Mieterhöhung, Kontoführungsgebühren und unzulässigen Preisklauseln folgten.
1.1 Zulässigkeit
1.1.1 Gerichtliche Zuständigkeit
Für die Musterfeststellungsklage ist in erster Instanz sachlich immer das OLG zuständig (§ 119 Abs. 3 GVG), und zwar in örtlicher Hinsicht am allgemeinen Gerichtsstand des Beklagten, jedenfalls wenn er sich im Inland befindet (§ 32c ZPO).
1.1.2 Klagebefugnis
Nicht jeder kann eine Musterfeststellungsklage erheben. Aktivlegitimiert sind nur sog. qualifizierte Einrichtungen i. S. v. § 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 UKlaG, also anerkannte und gelistete Verbraucherverbände mit der zusätzlichen Anforderung, dass sie
- entweder mehr als zehn Verbände oder mehr als 350 natürliche Personen als Mitglieder haben,
- seit mindestens vier Jahren in der Liste nach § 4 UKlaG oder dem Verzeichnis der Europäischen Kommission nach Art. 4 der RL 2009/22/EG des eingetragen sind,
- in der Hauptsache nicht gewerbsmäßig aufklärend oder beratend Verbraucherinteressen wahrnehmen,
- Musterfeststellungsklagen nicht zur Gewinnerzielung erheben,
- maximal in Höhe von 5 % von Unternehmen finanziert sind (§ 606 Abs. 1 ZPO).
1.2 Verfahren
Das Verfahren der Musterfeststellungsklage ist in §§ 606 ff. ZPO geregelt.
1.2.1 Anforderungen an Klage
In der Klageschrift muss nachgewiesen werden, dass
- die Klage von einem Verband eingereicht wird, der die o. g. Voraussetzungen erfüllt und
- dass der Klagegegenstand mindestens zehn Verbraucher betrifft.
Zwei Monate nach öffentlicher Bekanntmachung müssen sich mindestens 50 Verbraucher in das Klageregister eingetragen haben, sonst wird die Klage als unzulässig abgewiesen (§ 606 Abs. 3 ZPO).
1.2.2 Klageregister
Das Klageregister für Musterfeststellungsklagen wird beim Bundesamt für Justiz elektronisch geführt (§ 609 ZPO). Hier können sich alle Verbraucher eintragen, die von der Musterfeststellungsklage betroffen sind und die von den Ergebnissen des Prozesses profitieren wollen. Sie können ihre Anmeldung bis zum ersten Tag des Beginns der mündlichen Verhandlung in der I. Instanz vornehmen oder auch zurücknehmen (§ 608 Abs. 1, 3 ZPO).
1.2.3 Hinderungs- und Bindungswirkung der Musterfeststellungsklage
Ist der Tag der Rechtshängigkeit gekommen, also h...