Leitsatz
Bei der im Aussetzungsverfahren nach § 69 Abs. 3 FGO gebotenen summarischen Prüfung begegnet die rückwirkende Verlängerung der Veräußerungsfrist für Grundstücke von zwei auf zehn Jahre durch § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 EStG i.d.F. des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 schwerwiegenden verfassungsrechtlichen Zweifeln, weil der Gesetzgeber Anschaffungsvorgänge in die Regelung einbezogen hat, für die die "Spekulationsfrist" des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a EStG in der vor dem 1.1.1999 geltenden Fassung bereits abgelaufen war.
Normenkette
§§ 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1; 52 Abs. 39 Satz 1 EStG , Art. 20 Abs. 3 GG
Sachverhalt
Durch das StEntlG 1999/2000/2002 wurde u.a. die Spekulationsfrist für private Grundstücksveräußerungen von bisher 2 auf nunmehr 10 Jahre verlängert (§ 23 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 EStG). Die Neuregelung gilt für alle Veräußerungsgeschäfte, bei denen die Veräußerung auf einem nach dem 31.12.1998 abgeschlossenen obligatorischen Vertrag oder einem gleichstehenden Rechtsakt beruht (§ 52 Abs. 39 Satz 1 EStG). Zu entscheiden war, ob die Verlängerung der Spekulationsfrist für die Altfälle, die dadurch wieder in eine steuerrelevante Veräußerungsfrist hineinwachsen, eine verfassungswidrige Rückwirkung darstellt.
Der Antragsteller (ASt) hatte 1990 ein Grundstück erworben, das er im April 1999 (nach 8 Jahren und 8 Monaten) veräußerte. Bereits im Oktober 1997 hatte er einen Makler mit dem Verkauf beauftragt. Das FA nahm ein in die 10-jährige Frist fallendes Spekulationsgeschäft an und unterwarf den Veräußerungsgewinn im Streitjahr 1999 der ESt. Hiergegen legte der ASt Einspruch ein und beantragte die AdV, die das FA und das danach angerufene FG versagten.
Das FG war der Meinung, die Verlängerung der Spekulationsfrist verstoße nicht gegen das Verbot rückwirkender belastender Gesetze. Es handele sich nicht um eine echte Rückwirkung, d.h. einen nachträglichen Eingriff in einen bereits abgewickelten Sachverhalt, da der Besteuerungstatbestand erst durch das Veräußerungsgeschäft verwirklicht werde. Ob eine unechte Rückwirkung (Einwirkung auf gegenwärtige Sachverhalte für die Zukunft) vorliege, könne offen bleiben, da unechte Rückwirkungen grundsätzlich nicht verfassungswidrig seien.
Entscheidung
Der BFH gab der hiergegen eingelegten Beschwerde des ASt statt. Er bejaht schwerwiegende Zweifel im Hinblick auf das Verbot rückwirkender belastender Steuergesetze.
Der Senat lässt offen, ob eine echte oder unechte Rückwirkung vorliegt. Denn auch schon bei der Annahme einer nur unechten Rückwirkung beständen schwerwiegende verfassungsrechtliche Zweifel. Denn in den Anwendungsbereich fielen auch Anschaffungsvorgänge, bei denen – wie im Streitfall – die bisher geltende 2-jährige Spekulationsfrist vor dem 1.1.1999 bereits abgelaufen war, d.h. bei denen die Grundstücke schon aus der Steuerverstrickung ausgeschieden waren.
Die Erfassung des Veräußerungsgewinns verstoße hier gegen die schutzwürdige Dispositionsentscheidung des Steuerpflichtigen, der auf das damals geltende Recht vertraut habe. Da die Bundesregierung noch 1996 ausdrücklich betont habe, an der 2-jährigen Frist festzuhalten, sei das Vertrauen des ASt auch bei der Erteilung des Maklerauftrags 1997 noch nicht erschüttert gewesen. Der Gesetzgeber hätte für die Fälle, in denen die 2-jährige Frist vor 1999 abgelaufen gewesen sei, eine das Vertrauen der Stpfl. schonende Übergangsregelung schaffen müssen.
Hinweis
Der BFH ist im AdV-Verfahren im Allgemeinen zurückhaltend, wenn es um die Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes geht. Trotz ernsthafter verfassungsrechtlicher Bedenken lehnt er die AdV ab, wenn schwerwiegende öffentliche Interessen, wie z.B. das Gebot einer geordneten öffentlichen Haushaltswirtschaft, das Aussetzungsinteresse überwiegen (BFH, Urteil vom 9.10.1991, III B 51/91 u.a., BStBl II 1992, 91). Die AdV-Gewährung durch den BFH zeigt daher mit besonderer Deutlichkeit, dass der BFH im Streitfall von der Verfassungswidrigkeit überzeugt ist. Er spricht von schwerwiegenden Zweifeln an der Einbeziehung der Altfälle, d.h. derjenigen Veräußerungsvorgänge, bei denen die 2-jährige Spekulationsfrist vor dem 1.1.1999 bereits abgelaufen war, in die verlängerte Frist von nunmehr 10 Jahren.
Der Fall wirft noch folgende Besonderheit auf: Der Gesetzesbeschluss erging am 4.3.1999, die Verkündung datiert vom 24.3.1999. Die Veräußerung erfolgte im April 1999, d.h. nach Bekanntwerden der Neuregelung. Der BFH bejahte gleichwohl den Vertrauensschutz. Den Makler hatte der Antragsteller allerdings schon im Oktober 1997, d.h. vorher, beauftragt.
Lässt sich das FG von den Bedenken des BFH überzeugen, wird es im Hauptsacheverfahren die Sache dem BVerfG vorlegen müssen. Andernfalls wird es, wenn der BFH seine Linie beibehält, zur Vorlage durch den BFH kommen.
Jedenfalls sind Bescheide bis zur Klärung der Rückwirkungsfrage offen zu halten. Dies gilt nicht nur für Veräußerungen bis zum Gesetzesbeschluss, sondern auch für die danach liegenden Fälle.
Link zur Entscheidung
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