Leitsatz
Erzielen Ehegatten, die zusammen zur Einkommensteuer veranlagt werden, sowohl positive als auch negative Einkünfte aus Gewerbebetrieb, so sind bei der Anwendung des § 35 Abs. 1 EStG 2002 die positiven Einkünfte des einen Ehegatten mit den negativen Einkünften des anderen zu verrechnen.
Normenkette
§ 26b, § 35 Abs. 1 EStG 2002
Sachverhalt
Die Kläger sind zusammen zur Einkommensteuer veranlagte Eheleute. Der Kläger erzielte 2004 als Einzelunternehmer positive Einkünfte aus Gewerbebetrieb i.H.v. 48.717 EUR, die Klägerin positive Einkünfte aus nicht selbstständiger Arbeit, Vermietung und Verpachtung sowie aus Kapitalvermögen von insgesamt 98.443 EUR sowie negative gewerbliche Einkünfte aus einer mitunternehmerischen Beteiligung in Höhe von 84.160 EUR. Das FA rechnete den für den Betrieb des Klägers festgesetzten Gewerbesteuer-Messbetrag nicht auf die Einkommensteuer an, weil die Summe der im zu versteuernden Einkommen enthaltenen gewerblichen Einkünfte nicht größer als 0 EUR sei.
Das FG gab der Klage statt (FG Hamburg, Urteil vom 29.9.2010, 6 K 246/09, Haufe-Index 2565640, EFG 2011, 451). Es führte aus, der auch bei der Zusammenveranlagung geltende Grundsatz der Individualbesteuerung bewirke, dass für jeden der Ehegatten eine eigene Summe der Einkünfte zu bilden sei, die erst in einem zweiten Schritt in die Summe der Einkünfte beider Ehegatten eingehe. Dies gelte auch im Hinblick auf § 35 EStG. Zu diesem Ergebnis komme man auch, weil die Einkünfte zusammen veranlagter Ehegatten im Anschluss an eine getrennte Ermittlung in der für die Ehegatten jeweils günstigsten Reihenfolge zu verrechnen seien (Meistbegünstigungsprinzip).
Entscheidung
Der BFH gab der Revision des FA statt und wies die Klage ab.
Hinweis
1. Die tarifliche Einkommensteuer ermäßigt sich um ein Mehrfaches des (anteiligen) Gewerbesteuer-Messbetrags, soweit sie anteilig auf die im zu versteuernden Einkommen enthaltene gewerbliche Einkünfte entfällt. Einkommensteuer wird nur durch positive Einkünfte ausgelöst; auf negative Einkünfte aus Gewerbebetrieb kann daher keine Einkommensteuer entfallen.
2. Die im Streitjahr 2004 geltende Fassung des § 35 EStG enthielt (anders als die ab 2008 geltende Fassung) noch keine ausdrückliche Regelung zur Ermittlung des auf die gewerblichen Einkünfte entfallenden Anteils der tariflichen Einkommensteuer. Der BFH hatte bereits entschieden (BFH, Urteil vom 27.9.2006, X R 25/04, BStBl II 2007, 694, BFH/NV 2007, 811, BFH/PR 2007, 169), dass sich dieser Anteil bei zusammen zur Einkommensteuer veranlagten Ehegatten aus dem Verhältnis der gewerblichen Einkünfte zur Summe der Einkünfte (§ 2 Abs. 3 EStG) beider Ehegatten ergibt und dabei positive und negative gewerbliche Einkünfte eines Ehegatten zu saldieren sind.
3. Das Besprechungsurteil erweitert die Saldierung nun von der Konstellation, dass positive und negative gewerbliche Einkünfte ausschließlich bei einem der beiden Ehegatten vorliegen, auf positive Einkünfte des einen und negative des anderen; die negativen gewerblichen Einkünfte des anderen Ehegatten mindern somit die Steuerermäßigung. Wenn die gewerblichen Einkünfte danach insgesamt mit einem negativen Betrag in die Summe der Einkünfte der zusammen veranlagten Eheleute eingegangen sind, entfällt auf sie keine Einkommensteuer.
4. Eine Meistbegünstigung dergestalt, dass negative gewerbliche Einkünfte eines Ehegatten bei der Anwendung des § 35 EStG durch Verrechnung mit dessen positiven Einkünften aus anderen Einkunftsarten vorab verbraucht werden, sodass die positiven gewerblichen Einkünfte des anderen Ehegatten ungeschmälert für eine Gewerbesteueranrechnung zur Verfügung stehen, lehnt der BFH ab.
5. Gegen die Saldierung der positiven gewerblichen Einkünfte des einen mit den negativen des anderen Ehegatten spricht auch nicht, dass sich die negativen gewerblichen Einkünfte wegen des Verlustvortrags nach § 10a GewStG ein weiteres Mal nachteilig auf eine Gewerbesteueranrechnung auswirken. Wenn im Folgejahr wegen des Verlustvortrags kein Gewerbesteuer-Messbetrag festgesetzt wird, entsteht auch keine Belastung mit Gewerbesteuer, die eine Anrechnung rechtfertigen könnte. Zu einer "doppelten" nachteiligen Berücksichtigung des gewerblichen Verlustes kommt es daher dann nicht.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 27.9.2012 – III R 69/10