Leitsatz
Die Entrichtung der auf Grund einer Gewinnausschüttung einbehaltenen Kapitalertragsteuer bedeutet regelmäßig keine "erhebliche Härte" i.S. des § 222 Satz 1 AO 1977 für den Dividendenschuldner.
Normenkette
AO 1977 § 222
Sachverhalt
Die Klägerin ist eine GmbH, die im Wesentlichen nur Einkünfte aus zwei Tochter-GmbHs bezieht. Am 4.7.1996 beschloss die Gesellschafterversammlung der Klägerin, ihren Gewinn für 1995 an die Gesellschafter zum 30.9.1996 auszuschütten. Das FA stellte allerdings im KSt-Bescheid vom 13.9.1996 die KSt-Ausschüttungsbelastug nicht her, weil der Abfluss der Ausschüttung noch ausstand (vgl. Abschn. 77 Abs. 6 KStR 1995). Das wurde dann zwar am 4.11.1996 geändert. Das FA versagte aber dennoch die mit Blick auf die KSt-Minderung beantragte Verrechnungsstundung hinsichtlich der am 9.10.1996 angemeldeten KapESt.
Entscheidung
Der BFH gab dem Recht. Er lässt zwar offen, ob die KapESt-Schuld nicht ebenso wie die KSt-Schuld unter den Begriff der "Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis" i.S. des § 222 Satz 1 AO 1977 fällt. Bejahe man dies, wäre die grundsätzliche Verrechenbarkeit beider Forderungen möglich. Der BFH erkennt in der Entrichtung der KapESt jedoch keine "erhebliche Härte" als Voraussetzung der Verrechnungsstundung, handele es sich hierbei für den Entrichtenden doch um "fremdes" Geld.
Hinweis
Mit Urt. vom 24.3.1998, I R 120/97 (BStBl II 1999, 3) hatte der I. Senat des BFH die Verrechnungsstundung von KapESt damit abgelehnt, dass es sich hierbei nicht um "Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis" handele, wie es § 222 Satz 1 AO 1977 für die Stundungsgewährung voraussetze. Darüber lässt sich indes streiten. Denn auch wenn die KapESt-Schuld als solche zur Haftung des Vergütungsschuldners führt, so ist dieser doch gleichzeitig auch Entrichtungssteuerschuldner, und zwar in eigener Person.
Der BFH deutet denn auch an, dass er sich von der vorgenannten Entscheidung lösen möchte. Nur, was nützt es: Da die KapESt-Schuld das Geld der Vergütungsgläubiger betreffe, für die Kapitalgesellschaft also "fremd" sei, sei diese auch keiner erheblichen Härte ausgesetzt, wenn sie die KapESt trotz entsprechender Gegenansprüche abführen müsse.
Ganz zweifelsfrei ist diese Argumentation sicherlich nicht. Sie sollten sich aber auf diese Rspr. einstellen. Dass der BFH sich kurzfristig zu einem erneuten Umdenken bereit finden wird, ist kaum zu mutmaßen.
Das Phänomen der Entrichtungssteuerschuld beschäftigt den BFH immer wieder in den unterschiedlichsten Zusammenhängen, siehe nur in diesem Heft das Urt. vom 9.8.2000, I R 95/99 zur Fristenanlaufhemmung und im nächsten Heft 3/2001 das Urteil vom 13.9.2000, I R 61/99 zur Inanspruchnahme mittels Haftungs- oder Steuerbescheid.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 23.8.2000, I R 107/98