Leitsatz
Art. 56 EG steht Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats über die ESt entgegen, wonach das Recht gebietsansässiger und unbeschränkt steuerpflichtiger natürlicher Personen, Verluste aus Vermietung und Verpachtung einer Immobilie im Verlustentstehungsjahr von der Besteuerungsgrundlage abzuziehen und bei der Ermittlung der Einkünfte aus einer Immobilie eine degressive Abschreibung anzusetzen, von der Voraussetzung abhängt, dass die Immobilie im Gebiet dieses Mitgliedstaats belegen ist.
Normenkette
§ 2a Abs. 1 S. 1 Nr. 6 Buchst. a, § 7 Abs. 5 EStG, Art. 18, 56 EG
Sachverhalt
Die Kläger sind Geschwister. Sie besitzen die spanische Staatsangehörigkeit und sind seit ihrer Geburt in Deutschland ansässig. In den Jahren 1997 bis 2003 bezogen sie Einkünfte aus nicht selbstständiger Arbeit und waren in Deutschland unbeschränkt einkommensteuerpflichtig.
Die Eltern der Kläger – ebenfalls spanische Staatsangehörige – begannen 1990 mit dem Bau eines Hauses in Spanien, das 1993 fertiggestellt wurde. Die Mutter starb 1995, der Vater 1996. Mit Eintritt des Erbfalls im November 1996 wurden die Kläger im Weg einer Erbengemeinschaft Eigentümer des Hauses, nutzten es jedoch nie selbst. Ab 2001 wurde das Haus vermietet und 2006 wurde es verkauft.
Die Kläger begehrten mit ihren ESt-Erklärungen in Bezug auf das Haus zum einen die degressive Abschreibung nach § 7 Abs. 5 EStG und zum anderen die Nichtanwendung des eingeschränkten Verlustausgleichs nach § 2a Abs. 1 S. 1 Nr. 6 Buchst. a EStG a.F. Das FA entsprach dem nicht und wandte die letztgenannte Vorschrift sowie die lineare Abschreibung nach § 7 Abs. 4 EStG an, weil das Haus nicht im Inland belegen sei.
Das FG Baden-Württemberg (Beschluss vom 22.01.2008, 6 K 234/07) richtete im Rahmen des bei ihm anhängigen Klageverfahrens daraufhin ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH, um die Vereinbarkeit der deutschen Regelungslage mit den EG-Grundfreiheiten prüfen zu lassen.
Entscheidung
Der EuGH hat dem entsprochen. Er ist zu dem aus dem Leitsatz ablesbaren Ergebnis gelangt.
Hinweis
Dieses neueste Urteil des EuGH zum Verlustabzug und überdies zur Gewährung der degressiven Abschreibung auf Immobilien kann im Ergebnis nicht überraschen:
1. Es wird zum einen konstatiert, dass § 2a Abs. 1 S. 1 Nr. 6 Buchst. a EStG in der bisherigen, bis zum VZ 2008 geltenden Fassung gemeinschaftsrechtswidrig ist. Denn hiernach wurden auch innerhalb der EU Verluste aus VuV einer Auslandsimmobilie Abzugsbeschränkungen unterworfen, Inlandsverluste hingegen nicht. Der damit einhergehende Liquiditätsnachteil ist durch nichts gerechtfertigt.
Dieses Ergebnis war bereits in der Rechtssache "Ritter-Coulais" im EuGH-Urteil vom 21.02.2006, C-152/03 (BFH/NV Beilage 2006, 225, BFH/PR 2006, 192) angelegt (Folgeurteil des BFH vom 20.09.2006, I R 13/02, BFH/NV 2007, 410, BFH/PR 2007, 86). Es kam dort in Anbetracht der Verfahrenssituation allerdings lediglich für den negativen Progressionsvorbehalt zum Zug.
Das sah die Finanzverwaltung zwischenzeitlich ebenso. Sie hatte deshalb bundesweit abgestimmt, den grenzüberschreitenden Verlustabzug zu akzeptieren, vorausgesetzt, die VuV ist auf Einkommenserzielung angelegt und stellt keine "Liebhaberei" dar. S. z.B. OFD Koblenz, Verfügung vom 16.06.2009, S 2118 A-St 33.3.
Auch im Urteilsfall war so verfahren worden und der Antwort des EuGH auf diese erste Vorlagefrage hätte es deswegen gar nicht bedurft. Da das vorlegende FG seine diesbezügliche Frage jedoch nicht zurückgenommen hatte, blieb sie gleichwohl zu beantworten.
2. Gleichermaßen muss auch für derartige Auslandsimmobilien die Möglichkeit zur degressiven AfA nach § 7 Abs. 5 EStG eingeräumt werden. Das Erfordernis der Inlandsbelegenheit des begünstigten Gebäudes ist aus europarechtlicher Sicht nicht hinnehmbar.
Dazu ein Hinweis: Im Ergebnis nicht anders dürfte es sich für das Inlands-Verbleibenserfordernis in § 7g Abs. 1 S. 2 Nr. 2 Buchst. b EStG n.F. verhalten. S. dazu auch BFH, Urteil vom 11.07.2007, I R 104/05, BFH/NV 2007, 1986, BFH/PR 2007, 420, sowie EuGH, Urteil vom 04.12.2008, C-330/07 "Jobra Vermögensverwaltungs-Gesellschaft mbH"; BFH/NV 2009, 336.
3. Die bestätigten Gemeinschaftsrechtsverstöße bedurften allerdings – naturgemäß – einer Grundfreiheit, die überhaupt verletzt werden konnte und deren Freiheitsbereich eröffnet wurde. Der EuGH "entdeckt" dafür die Kapitalverkehrsfreiheit des Art. 56 EG, weil der Grundbesitz, welcher im Urteilsfall in Rede stand, den Klägern im Weg einer Erbschaft aus Spanien zugeflossen war.
Diese "Entdeckung" verwundert doch ein wenig. Ihr liegt ein recht weit gedehntes Verständnis der Freiheit des Kapitalverkehrs zugrunde. Dessen bedurfte es aber wohl, um im Urteilsfall zu einem Freiheitsverstoß zu gelangen: Die Kläger hatten das Vermietungsobjekt in Spanien geerbt. Es lag der Vermietung also keine – ebenfalls der Kapitalverkehrsfreiheit unterfallende – "Immobilieninvestition" zugrunde, wie z.B. im EuGH-Urteilsfall "Centro di Musicologia Walter Stauffer" vom 14.09.2006, C-386/04 (BFH/NV Beilage ...