Leitsatz
1. Der in § 254 BGB zum Ausdruck kommende Rechtsgedanke ist im Steuerrecht anzuwenden, wenn Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis ein Vertretenmüssen voraussetzen.
2. Die in Verwaltungsanweisungen des BZSt geregelte Möglichkeit, die in § 22a Abs. 1 EStG geforderten Angaben bei unverschuldeter Unkenntnis u.a. der Identifikationsnummer des Leistungsempfängers nicht nach amtlich vorgeschriebenem Datensatz zu übermitteln, sondern die vorhandenen Teile dieser Angaben in Form einer csv-Datei auf einem Datenträger zu übersenden, stellt eine sachgerechte Konkretisierung der Exkulpationsregelung des § 22a Abs. 5 Satz 3 EStG dar.
3. Die Regelungen über das Verspätungsgeld räumen der ZfA kein Ermessen ein. Statthafte Klageart gegen einen Verspätungsgeldbescheid ist daher die Anfechtungsklage.
Normenkette
§ 22a Abs. 1, 2 und 5 EStG, § 254 BGB
Sachverhalt
Die Klägerin, ein Pensionsfonds, übermittelte der ZfA für das Streitjahr 2013 eine Vielzahl von Rentenbezugsmitteilungen (RBM). Dabei unterliefen ihr die folgenden Fehler: Sie meinte, zur Übermittlung von RBM, die Leistungsempfänger mit ausländischem Wohnsitz betreffen, nicht verpflichtet zu sein. Sie wählte zudem bei der Abfrage der Ident-Nr. des Leistungsempfängers beim BZSt die falsche Anfrageart und übermittelte die betroffenen RBM nicht elektronisch, sondern durch Übersendung einer csv-Datei. Die ZfA übersandte den Prüfungsbericht erst knapp 2 Jahre nach Beendigung der Außenprüfung, sodass sich auch insoweit das Verspätungsgeld erhöhte.
Das FG wies die hiergegen gerichtete Klage ab (FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 19.2.2019, 5 K 5103/17, Haufe-Index 14174691, EFG 2019, 1202).
Entscheidung
Die Revision des Mitteilungspflichtigen war begründet und führte zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung. Die tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz reichten dem BFH für eine Überprüfung der rechtlichen Würdigungen des FG nicht aus.
Hinweis
Für die Vorsorgeeinrichtungen, die gemäß § 22a EStG verpflichtet sind, Rentenbezugsmitteilungen (RBM) der Zentralen Zulagenstelle für Altersvermögen (ZfA) elektronisch bis Ende Februar des Folgejahres (jetzt § 93c AO) zu übermitteln, sind die folgenden Erkenntnisse des Urteils wichtig:
1. Auch für ausländische Leistungsempfänger sind RBM zu übermitteln; dies folgt bereits aus § 22a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG.
2. Von der Erhebung des Verspätungsgeldes kann in Anwendung des Rechtsgedankens des § 254 BGB – ggf. anteilig – abgesehen werden.
Ein im Rahmen der Erhebung des Verspätungsgeldes zu beachtendes Mitverschulden könnte z.B. dann vorliegen, wenn die Dauer der Fristüberschreitung im konkreten Einzelfall entscheidend darauf zurückzuführen ist, dass der Mitteilungspflichtige erst durch den Hinweis der ZfA von seiner Pflichtverletzung (§ 22a Abs. 1 EStG a.F.) Kenntnis erlangt und daraufhin die RBM unverzüglich übermittelt.
Dabei fällt die Abwägung der einzelnen Verursachungsbeiträge in die Zuständigkeit des Tatrichters.
3. Die Übersendung einer csv-Datei auf einem Datenträger steht einer RBM nicht gleich. Zum einen enthält die csv-Datei notwendigerweise nicht alle in § 22a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG genannten Angaben. Zum anderen stellt die Übersendung eines Datenträgers auf dem Postweg nicht die in § 22a Abs. 1 Satz 2 EStG allein zugelassene "Datenübermittlung durch Datenfernübertragung" dar.
4. Die Verwaltungsregelung über das csv-Verfahren ist in systematischer Hinsicht als Konkretisierung der Exkulpationsvorschrift des § 22a Abs. 5 Satz 3 EStG anzusehen und muss sich auch in seiner Ausgestaltung hieran messen lassen.
5. Das BZSt hat die Anwendung des csv-Verfahrens davon abhängig gemacht, dass der Mitteilungspflichtige zuvor alle rechtlichen und technischen Möglichkeiten zur Ermittlung der für die elektronische Datenübermittlung erforderlichen Angaben ausgeschöpft hat. Ferner muss er in nachvollziehbarer Form dokumentieren, dass er beim Leistungsempfänger die Ident-Nr. und das Geburtsdatum erfragt und hierauf keine Angaben erhalten hat.
6. Dies entspricht den Anforderungen des § 22a Abs. 5 Satz 3 EStG. Erst dann, wenn der Mitteilungspflichtige alle rechtlichen und technischen Möglichkeiten zur Ermittlung der in § 22a Abs. 1 Satz 1 EStG aufgeführten Pflichtangaben ausgeschöpft hat, ist es gerechtfertigt, aber auch geboten, von einem Nichtvertretenmüssen der Fristüberschreitung auszugehen.
Die Obliegenheit des Mitteilungspflichtigen zur Dokumentation seiner Ermittlungsversuche folgt bereits daraus, dass der Gesetzgeber durch die Formulierung des § 22a Abs. 5 Satz 3 EStG a.F. die Feststellungslast für das Nichtvertretenmüssen dem Mitteilungspflichtigen zugewiesen hat.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 6.5.2020 – X R 10/19