Jeder Vertragstyp, sei es ein Kauf-, Werk-, Mietvertrag oder ein anderes Schuldverhältnis, ist gekennzeichnet durch wesentliche Pflichten der Parteien, die das Wesen eines Vertrages dieser Art ausmachen. Ohne diese (Haupt-)Pflichten ist der jeweilige Vertrag kaum denkbar, auch dann nicht, wenn er von den Parteien entsprechend benannt oder betitelt wird.
Haben sich die Parteien keine Gedanken darüber gemacht, was für einen Vertragstyp sie wählen, entscheiden die vereinbarten Hauptpflichten – der im Vertrag bestimmte Leistungserfolg und die dafür versprochene Gegenleistung – über dessen Einordnung.
Beispiel 1
Die Parteien A und B haben vereinbart, dass A von B ein Bistro nebst vollständigem Inventar "miete", um es selbständig zu betreiben. Die Hauptpflichten bestehen hier einerseits in der Überlassung der Räumlichkeiten, des Inventars und der darin – im Rahmen des Gastronomiebetriebes – erzielbaren Umsätze, andererseits in der Bezahlung des dafür vereinbarten Zinses.
Diese Hauptpflichten kennzeichnen einen Pachtvertrag. Denn für den Pachtvertrag ist – im Unterschied zur Miete – typisch, dass die überlassene Sache Gebrauchsvorteile ( "Früchte") bietet, deren Nutzung durch den Pächter gewollt ist und gewährt wird.
1.1 Hauptpflichten
Vertrag (Bsp.) |
Hauptpflichten |
Kaufvertrag |
Übergabe und Eigentumsverschaffung am Kaufgegenstand, Zahlung des vereinbarten Kaufpreises |
Mietvertrag |
Gebrauchsüberlassung der Mietsache während der Mietzeit, Zahlung der vereinbarten Miete |
Leasingvertrag |
Vorfinanzierung des Vertragsgegenstandes gegenüber dem Hersteller durch den Leasinggeber und Gebrauchsüberlassung an den Leasingnehmer für die Vertragslaufzeit, Zahlung der Leasingraten |
Pachtvertrag |
Überlassung des Pachtgegenstandes und des Genusses der Früchte aus bestimmungsgemäßer Nutzung/Ausbeutung während der Pachtzeit, Zahlung der vereinbarten Pacht |
Dienstvertrag |
Leistung der versprochenen Dienste, Leistung der versprochenen Vergütung |
Werkvertrag |
Herstellung eines Werkes, Herbeiführung eines Erfolges durch Arbeit oder Dienstleistung, Abnahme des Werkes und Entrichtung der vereinbarten Vergütung |
Reisevertrag |
Erbringung einer Gesamtheit von Reiseleistungen, Zahlung des vereinbarten Reisepreises |
Maklervertrag |
Nachweis der Gelegenheit zum Abschluss eines Vertrages oder Vermittlung eine Vertrages, Zahlung der vereinbarten Provision im Falle des Zustandekommens des Vertrages |
Nur ausnahmsweise ist ein vertragliches oder vertragsähnliches Schuldverhältnis ohne Hauptpflichten denkbar, etwa dann, wenn durch die bloße Aufnahme von Vertragsverhandlungen gegenseitige Schutz- und Obhutspflichten entstehen, deren Verletzung vertragliche Schadensersatzansprüche auslösen können.
1.2 Nebenpflichten
Nebenpflichten dienen der Vorbereitung und der Durchführung eines Vertrages. Sie umfassen alle Pflichten der Parteien, die darauf zielen, den geschuldeten Leistungserfolg zu sichern und zu ergänzen. Solche Pflichten können im Vertrag ausdrücklich formuliert werden, sie können sich aber auch aus den Hauptleistungspflichten ableiten.
Beispiel 2
Ist einem Kaufvertrag, nach dem der Verkäufer die Kaufsache an den Käufer zu versenden hat, die Klausel "in Kartons à 250 Stück, Wellpappe mit eingelegter Styroporstoßsicherung, je 50 Stück vakuumverpackt ohne Aufdruck" aufgenommen worden, ist damit eine leistungsbezogene Nebenpflicht präzise beschrieben: die Kaufsache ist in ganz bestimmter Weise verpackt zu versenden.
Wurde im Vertrag zwar die Versendung, nicht aber die Verpackung vereinbart, heißt dies gleichwohl nicht, dass der Verkäufer die Kaufsache unverpackt versenden dürfte. Eine an den Interessen der Parteien orientierte Auslegung des Vertrages wird auch hier zum Ergebnis kommen, dass eine handelsübliche Verpackung vor der Versendung geschuldet wird.
1.3 Leistungs- und nicht leistungsbezogene Nebenpflichten
Zu den leistungsbezogenen kommen die nicht leistungsbezogenen Nebenpflichten. Sie sind nicht auf das primäre Vertragsziel gerichtet, sondern darauf, die Güter- und Interessenlage des Vertragspartners im Übrigen nicht zu schädigen. Wenngleich dies in kaum einem Vertrag ausdrücklich angesprochen wird, gehen die Parteien doch davon aus, dass die jeweils andere Partei bei der Vertragserfüllung alles tun wird, keine "Begleitschäden" an Rechtsgütern des Vertragspartners entstehen zu lassen. Gerade weil der Vertragspartner über den Vertrag gesteigerte Einwirkungsmöglichkeiten auf die Güter- und Interessenssphäre des anderen Teils hat, muss der darauf vertrauen können, dass diese Sphäre unangetastet bleibt.
Beispiel 3
Bei der Anlieferung von Heizöl versäumt es der Mitarbeiter der Schuldnerin bei der Anlieferung, den Anschluss des Schlauches an die Hausleitung auf richtigen Sitz zu kontrollieren. Bei der Betankung läuft so eine erheblicher Menge Heizöl an der Hauswand herab und kontaminiert das Erdreich.
Auch ohne explizite vertragliche Regelung schuldet der Lieferant des Heizöls diejenige Sorgfalt bei der Andi...