Befand sich eine Vertragspartei bei Abschluss des Vertrages im Irrtum, kann sie den Vertrag in bestimmten Fällen nachträglich anfechten. Das im Vertrag Erklärte wird dadurch mit rückwirkender Kraft aufgehoben. In den meisten Fällen ist allerdings der anderen Partei der Schaden zu ersetzen, den diese dadurch erleidet, dass sie auf den Bestand des Vertrages vertraut hat. Die wichtigsten Fälle sind:
5.1 Irrtum in der Erklärungshandlung
Beim Irrtum in der Erklärungshandlung ist bereits das äußerlich Erklärte nicht das, was der Erklärende ausdrücken wollte – er hat sich versprochen, verschrieben, vertippt oder vergriffen. Wer etwa beim Ausfüllen eines Bestellformulars die Spalten verwechselt und dabei die Jahreszahl "2002" des Auftragsdatums versehentlich in die Rubrik "Stückzahl" einträgt, hat zwar zunächst 2002 Einheiten bestellt, kann aufgrund diesen Irrtums aber seine Bestellung anfechten.
5.2 Irrtum über den Erklärungsinhalt
Ähnlich liegt es beim Irrtum über den Erklärungsinhalt. Allerdings entspricht hier das Erklärte äußerlich dem Willen des Erklärenden. Der Irrtum liegt hier im falschen Verständnis des Erklärten: "Die irrende Partei weiß, was sie sagt, sie weiß aber nicht, was sie damit sagt".
Beispiel 5
Der Besteller ordert "25 Gros Rollen WC-Papier". Er meint, damit 25 große Rollen bestellt zu haben. Tatsächlich hat er aber "25 Gros", das sind 3600 Rollen bestellt.
In die Gruppe der Irrtümer über den Erklärungsinhalt fallen auch
- Irrtümer über den Geschäftstyp (etwa: der Erklärende will sich verbürgen, erklärt aber objektiv einen Schuldbeitritt),
- Irrtümer über die Person des Geschäftspartners (Bsp.: das Auftragsschreiben wird an den falschen Adressaten versandt),
- Irrtümer über wesentliche Rechtsfolgen einer Erklärung (Bsp.: der Versicherungsnehmer schließt einen Vergleich mit seinem Haftpflichtversicherer in der Annahme, weitere Ansprüche des Geschädigten seien damit ausgeschlossen, während tatsächlich weitere erhebliche Ansprüche gegen ihn geltend gemacht werden können und werden),
Berechnungsfehler und Kalkulationsirrtümer berechtigen dagegen in der Regel nicht zur Anfechtung des Vertrages.
5.3 Irrtum über verkehrswesentliche Eigenschaften
Beim Irrtum über verkehrswesentliche Eigenschaften stimmen zwar Wille und Erklärung überein, die erklärende Partei irrt sich jedoch über Eigenschaften des Vertragsgegenstandes, also über reale Umstände außerhalb der Erklärung. Während ein solcher Irrtum über Eigenschaften grds. als sog. Motivirrtum unbeachtlich ist, kann er die nachträgliche Anfechtung doch rechtfertigen, wenn die fragliche Eigenschaft als "verkehrswesentlich" angesehen werden kann. So kann es etwa bei der Bebaubarkeit eines Grundstückes liegen.
Keine verkehrswesentliche Eigenschaft ist dagegen der Marktwert der Kaufsache. Wer nach Vertragsschluss feststellt, dass er ungünstig gekauft hat, kann darauf keine Anfechtung stützen, auch wenn er zuvor irrtümlich angenommen hatte, ein besonderes "Schnäppchen" zu machen.
5.4 Übermittlungsirrtum
Beim Übermittlungsirrtum bedient sich eine Partei einer Person (Bote) oder Anstalt (Post, Telekom) zur Übermittlung ihrer Erklärungen. Erleidet die Erklärung bei der Übermittlung eine Verfälschung, muss sich die erklärende Partei ihre Äußerung zwar so zurechnen lassen, wie sie beim Empfänger ankommt. Sie hat jedoch ein Anfechtungsrecht aus § 120 BGB, wenn sie die Erklärung bei verständiger Würdigung nicht mit dem zugegangenen Inhalt abgegeben hätte.
5.5 Arglistige Täuschung und widerrechtliche Drohung
Einen Vertrag anfechten kann schließlich die Partei, die zu seinem Abschluss durch arglistige Täuschung oder widerrechtliche Drohung bestimmt worden ist (§ 123 BGB). Für die arglistige Täuschung reicht es nicht aus, dass etwa ein Kaufgegenstand besonders angepriesen oder reklamehaft herausgestellt wurde. Notwendig ist vielmehr folgendes:
- eine unrichtige Tatsachenbehauptung, die von einer Partei in Kenntnis ihrer Unwahrheit abgegeben wird und
- die andere in einen Irrtum versetzt,
- ohne den sie den Vertrag nicht,
- mit einem anderen Inhalt oder
- zu einem anderen Zeitpunkt abgegeben hätte.
Arglistige Täuschung des anderen Teils wurde etwa bejaht
- bei einem Timesharing-Angebot, das als "5-Sterne-First-class" angeboten wurde, obwohl es nur 3-Sterne-Standard besaß,
- bei der Bezeichnung eines Angebots als "besondere Einkaufsmöglichkeit" beim einem Verkaufspreis von 150.000 DM und einem Einkaufspreis des Anbieters von 33.000 DM,
- beim Verschweigen von Tatsachen entgegen einer bestehenden Aufklärungspflicht, etwa bei fehlender Verkehrssicherheit eines unvollständig reparierten Wagens. Zu der Frage, wann eine Vertragspartei eine solche Aufklärungspflicht trifft, hat sich eine umfangreiche Rechtsprechung zu einzelnen Vertragstypen gebildet.
5.6 Schadensersatzpflicht
Mit Ausnahme der Anfechtung infolge arglistiger Täuschung oder widerrec...