Sobald die Parteien einen schuldrechtlichen Vertrag geschlossen haben, werden neben den vertraglichen Leistungsansprüchen auch die haftungsrelevanten Ansprüche aus Pflichtverletzungen (Nichtleistung, Schlechtleitung oder verzögerte Leistungen) aus eben diesem vertraglichen Schuldverhältnis hergeleitet. Dies trifft insbesondere auch auf den vorgestellten Vor- und Rahmenvertrag zu. Aber bereits vor Abschluss eines Vertrags stehen sich die Parteien näher als beliebige Dritte. Aus diesem "gesteigerten Sozialkontakt", den die künftigen Parteien eines Vertrags schon bei der Vertragsanbahnung und erst recht während der Vertragsverhandlungen eingehen, folgert die Rechtsprechung seit jeher auch besondere Pflichten (Schutz- und Obhutspflichten gegenüber dem Geschäftspartner bei Geschäftsanbahnung, Schutz des besonderen Vertrauensverhältnisses während der Vertragsverhandlungen). Verletzt einer der Parteien diese Pflichten, können vorvertragliche Haftungsansprüche entstehen, die in § 311 Abs. 2 und 3, § 241 Abs. 2 BGB geregelt sind. Ein schützenswertes gesetzliches Schuldverhältnis entsteht danach bereits
- durch die Aufnahme von Vertragsverhandlungen (hier muss ein fortgeschrittener vorvertraglicher Kontakt zwischen den Parteien bestehen mit dem Ziel, einen Vertrag abzuschließen. Lose Kontakte über eine geschäftliche Zusammenarbeit genügen nicht, BGH, NJW 2006, 830, 835);
- durch die Anbahnung eines Vertrags, bei welcher der eine Teil im Hinblick auf eine etwaige rechtsgeschäftliche Beziehung dem anderen Teil die Möglichkeit zur Einwirkung auf seine Rechte, Rechtsgüter und Interessen gewährt oder ihm diese anvertraut (BGH, NJW 2013, 3366). Beispiel: Ein potenzieller Kunde begibt sich in einen Gefahrenbereich, der vom potenziellen Vertragspartner beherrscht wird;
- durch ähnliche geschäftliche Kontakte (Sonderverbindungen, z. B. der gemeinsame Verkauf einer Sache von mehreren Personen, ohne dass zwischen diesen eine besondere Rechtsbeziehung besteht, BGH, NJW 1980, 2464).
Die Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen kann auch gegenüber Dritten bestehen, die selbst nicht Vertragspartei werden sollen.
Fallgruppen der vorvertraglichen Haftung
- Der potenzielle Gast X will sich über die Zimmerpreise informieren und rutscht im Hotel-Foyer auf einer Bananenschale aus; Frau A geht in einen Baumarkt, um sich einen neuen Bodenbelag auszusuchen und wird von einer umfallenden Teppichrolle getroffen. In beiden Fällen geht es um die Anbahnung eines rechtsgeschäftlichen Kontakts. Sowohl X als auch A begeben sich hierfür jeweils in einen vom potenziellen Vertragspartner beherrschten Bereich (hier: Hotel und Baumarkt). Durch die Verletzung der Sorgfaltsplicht (Liegenlassen der Bananenschale und die nicht gesicherte Teppichrolle) haben X und A einen Schaden erlitten, der zu ersetzen ist. Das Verschulden des unachtsamen Personals wird dem Hotelier bzw. Baumarktinhaber zugerechnet.
- Frau A betritt den Baumarkt – dieses Mal jedoch nur, um sich vor dem starken Regen zu schützen. Sie wird von der Teppichrolle getroffen. Hier ist der Baumarktinhaber nicht zum Schadenersatz nach § 311 Abs. 2 Satz 2, § 241 Abs. 2 BGB verpflichtet, denn ein bloßer "sozialer" Kontakt reicht für eine vorvertragliche Haftung nicht aus. Es kann aber eine Haftung nach § 823 Abs. 1 BGB bzw. § 831 Abs. 1 S. 1 BGB bestehen wegen Verletzung von Verkehrssicherungspflichten.
- P interessiert sich für einen Lieferwagen bei Autohändler F. Für die Probefahrt überlässt F dem P ein Fahrzeug, das nicht kaskoversichert ist. Es kommt zu einem Unfall. Durch die Verletzung seiner Aufklärungspflichten (der P durfte bei einem Autohändler davon ausgehen, dass die Fahrzeuge versichert sind) während der Vertragsanbahnung macht sich F schadensersatzpflichtig.
- Der Softwarehersteller M beginnt nach mehrtägigen Verhandlungen bei dem Unternehmer H bereits mit den ersten Programmierungsarbeiten und stellt vorbereitend auch Aushilfskräfte ein. Er vertraut aufgrund der festen Zusagen des H darauf, dass der Vertrag zustandekommt. Der Termin der Vertragsunterzeichnung wird von H jedoch kurzfristig aufgrund einer Urlaubsreise abgesagt. Weitere Verhandlungen lehnt H ebenfalls ab, da er nun "keine Lust mehr auf die Softwareumstellung" hat. Wenn das Verhalten und die Aussagen des H bei den vorvertraglichen Verhandlungen die getätigten Aufwendungen des M rechtfertigen, da er auf das sichere Zustandekommen des Vertrags vertrauen durfte, ist ein Abbruch der Vertragsverhandlungen ohne trifftigen Grund treuwidrig und kann Schadensersatzansprüche begründen.
In allen genannten Fällen muss die Pflichtverletzung selbstverständlich rechtswidrig, schuldhaft und kausal für den eintretenden Schaden sein.