Ass. jur. Viola C. Didier
Leitsatz
Beim Erwerb einer Vertragsarztpraxis ist neben dem erworbenen Praxiswert kein weiteres selbstständiges immaterielles Wirtschaftsgut in Form des "mit einer Vertragsarztzulassung verbundenen wirtschaftlichen Vorteils" vorhanden.
Sachverhalt
In einem vom FG Köln entschiedenen Fall war die Klägerin eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts, die in einem Kreiskrankenhaus ein Röntgeninstitut betreibt. Zusammen mit einem weiteren Käufer übernahm die Klägerin eine radiologische Praxis von Frau D. Frau D. verfügte über einen Vertragsarztsitz verbunden mit einem Individualbudget von rund 3 Mio. Punkten/Quartal. Vom Kaufpreis sollten höchstens 900.000 DM auf die Klägerin entfallen. Als weitere vertragliche Voraussetzung wurde vereinbart, dass der aktuelle Praxisstandort geschlossen und der Vertragsarztsitz sowie 1,8 Mio. Punkte des Individualbudgets von Frau D. in die Klägerin eingebracht werden sollte. Dabei sollte der Kassenarztsitz von Frau D. auf einen der Mitarbeiter der Klägerin übertragen werden und die Budgetaufteilung durch die Kassenärztliche Vereinigung unwiderruflich erfolgen. Zum 1.4.2002 übernahm Herr L., der seit 1.1.2002 Gesellschafter der Klägerin ist, den Vertragssitz von Frau D.
Eine Betriebsprüfung in 2006 kam zu dem Schluss, dass der Kaufpreis auf den Vertragsarztsitz und auf die mit dem Vertragsarztsitz erworbenen Abrechnungspunkte aufzuteilen sei, da es sich jeweils um selbstständig erworbene immaterielle Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens handele. Eine Teilwertabschreibung sei nur hinsichtlich der Abrechnungspunkte möglich.
Die Klägerin war jedoch der Ansicht, dass mit dem Kaufpreis der Geschäftswert der Praxis bezahlt worden sei und eine Abschreibung des Gesamtkaufpreises über drei Jahre den steuerrechtlichen Vorschriften entspreche.
Entscheidung
Das Finanzgericht gab der Klägerin Recht, soweit das Finanzamt den Vorteil aus der Vertragsarztzulassung als selbstständiges, nicht abnutzbares immaterielles Wirtschaftsgut neben einem Wirtschaftsgut "Abrechnungspunkte" beurteilt und fehlerhaft Absetzungen für Abnutzung auf den Praxiswert nicht anerkannt hatte, sodass die Einkünfte aus selbstständiger Arbeit zu hoch festgestellt worden waren. Allerdings sei von einer Abschreibung auf vier statt drei Jahren auszugehen, erklärten die Richter.
Das Finanzgericht schloss sich der Ansicht des BFH (v. 9.8.2011, Az. VIII R 13/08, BStBl 2011 II S. 875) an, dass beim Erwerb einer Vertragsarztpraxis im Regelfall neben dem erworbenen Praxiswert kein weiteres selbstständiges immaterielles Wirtschaftsgut in Form des "mit einer Vertragsarztzulassung verbundenen wirtschaftlichen Vorteils" vorhanden ist. So lasse sich der Kaufpreis für eine Vertragsarztpraxis grundsätzlich nicht - auch nicht teilweise - dem wirtschaftlichen Vorteil aus der Vertragsarztzulassung zuordnen. Der Erwerb einer eingeführten Arztpraxis schaffe für den Praxiserwerber die Grundlage der freiberuflichen Tätigkeit. Das erworbene Chancenpaket bilde den Praxiswert, der sich aus den verschiedenen Einzelbestandteilen zusammensetze (Patientenstamm, Standort, Umsatz etc.). Es handele sich somit um einen Inbegriff von im Einzelnen nicht messbaren Faktoren. Der die Praxis übergebende Vertragsarzt könne den Vorteil aus der Zulassung grundsätzlich nicht selbstständig verwerten. Orientiere sich der zu zahlende Kaufpreis daher am Verkehrswert der Praxis, so sei in dem damit abgegoltenen Praxiswert der Vorteil aus der Zulassung als Vertragsarzt untrennbar enthalten.
Im Streitfall war eine Verselbstständigung des Vorteils aus der Zulassung als Vertragsarzt nicht anzunehmen und vielmehr vom Erwerb eines einheitlichen Praxiswerts mit der Möglichkeit der linearen Abschreibung auszugehen.
Hinweis
In Sonderfällen kann die Zulassung zum Gegenstand eines gesonderten Veräußerungsvorgangs gemacht und damit zu einem selbstständigen Wirtschaftsgut konkretisiert werden. Dies kann nach den Ausführungen des BFH dann der Fall sein, wenn ein Arzt an einen ausscheidenden Arzt eine Zahlung im Zusammenhang mit der Erlangung der Vertragsarztzulassung leistet, ohne jedoch dessen Praxis zu übernehmen, weil er den Vertragsarztsitz an einen anderen Ort verlegen will. Die Feststellungslast bezüglich der diesen Sonderfall begründenden Umstände liegt beim Finanzamt.
Der derivative Praxiswert wird dabei als immaterielles Wirtschaftsgut analog § 5 Abs. 2 EStG behandelt. Die betriebsgewöhnliche Nutzungsdauer für dessen Abschreibung wegen Abnutzung nach § 7 Abs. 1 Sätze 1 - 2 EStG ist im Einzelfall zu schätzen und wird in der Regel mit einem Zeitraum von drei bis fünf Jahren angesetzt (BFH, Urteil v. 24.2.1994, IV R 33/93, BStBl 1994 II S. 590 m.w.N.).
Link zur Entscheidung
FG Köln, Urteil vom 26.01.2012, 6 K 4538/07