Auch die AO kennt den Begriff des gewöhnlichen Aufenthaltes in § 9 AO. Diesen begründet ein Steuerpflichtiger dadurch, dass er sich an einem Ort unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilen will. Dauert ein zeitlich zusammenhängender Aufenthalt mehr als sechs Monate, wird unwiderlegbar vermutet, dass es sich dann um einen gewöhnlichen Aufenthalt von Beginn des Aufenthaltes an handelt. Kurze Unterbrechungen sind nicht zu berücksichtigen. Nicht zu einem gewöhnlichen Aufenthalt führen Aufenthalte, die ausschließlich zu Besuchs-, Erholungs-, Kur- oder ähnlichen privaten Zwecken genommen werden und nicht länger als ein Jahr andauern (vgl. § 9 Satz 3 AO). In diesen Fällen führt das Überschreiten der 6-Monats-Frist, solange nicht die Jahresfrist überschritten wird, nicht zur Begründung eines anderen gewöhnlichen Aufenthalts.
Diese unwiderlegliche Vermutung gilt nicht im Zivilrecht. Der gewöhnliche oder ständige Aufenthalt wird durch ein tatsächliches, längeres Verweilen begründet. Ein darauf gerichteter Wille ist – anders als bei der Begründung des Wohnsitzes im Sinne des BGB – nicht erforderlich. Damit hat die 6-Monats-Frist im Zivilrecht nicht die Bedeutung, die ihr im Steuerrecht zukommt. Allerdings dürfte in der Praxis bei einem Aufenthalt von mehr als 6 Monaten dieser Dauer ein starkes Gewicht bei der Beurteilung des gewöhnlichen Aufenthalts zukommen. Eine unwiderlegbare Vermutung gilt hier – im Gegensatz zum Steuerrecht – nicht.
Abgrenzung beschränkte und unbeschränkte Steuerpflicht
Die Frage des gewöhnlichen Aufenthaltes im steuerlichen Sinne hat ganz entscheidende Bedeutung für die Frage der persönlichen Steuerpflicht bei der Einkommen- oder Erbschaftsteuer. So grenzt sich die beschränkte von der unbeschränkten Steuerpflicht nach § 1 Abs. 1 EStG danach ab, ob der Betroffene, wenn er keinen Wohnsitz in Deutschland begründet, sich im Inland gewöhnlich aufhält. Personen, die einen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben, werden als unbeschränkt Steuerpflichtige mit ihrem Welteinkommen besteuert, während diejenigen, die keinen gewöhnlichen Aufenthalt oder Wohnsitz in Deutschland begründen, grundsätzlich nur mit bestimmten, in der Regel auf das Inland bezogenen Einkünften besteuert werden.