Zusammenfassung

Funktion des allgemeinen Teils des BGB (und des allgemeinen Teils des Schuldrechts) ist es u. a., eine Fülle von Begriffsbestimmungen, die grundsätzlich für alle Rechtsverhältnisse, gelten, zu definieren. Der Abgabenordnung im Steuerrecht kommt eine ähnliche Funktion zu. Die allgemeinen Regeln gelten stets dann, wenn es für den Einzelfall keine spezielle Regelung gibt. Sie werden verdrängt,

  • wenn für den konkreten Einzelfall eine besondere Vorschrift (lex specialis) im Gesetz - entweder im BGB selbst oder in einem anderen Spezialgesetz - enthalten ist. Dann verdrängt die speziellere Norm die allgemeinen Regeln;

oder

  • wenn die Parteien eine andere Regelung wirksam vereinbart haben. Hier ist insbesondere zu prüfen, ob von der konkreten Vorschrift des Zivilrechts durch Parteivereinbarung abgewichen werden darf, weil es sich um dispositives Recht handelt oder ob es sich bei der Regelung um zwingendes, nicht durch Parteivereinbarung abänderbares Recht handelt.

    Zwingende Vorschriften sind im Zivilrecht vor allem im Sachenrecht zu finden, um hier für alle am Rechtsverkehr Beteiligten eine größtmögliche Klarheit zu schaffen. Beispielsweise soll die Bestimmung des Eigentümers eines Grundstücks eindeutig möglich sein, so dass die Voraussetzungen für den Eigentumswechsel nicht in die Hand der Beteiligten gelegt wird. Die Voraussetzungen sind vielmehr im BGB für alle am Rechtsverkehr Beteiligten verbindlich festgelegt.

    Aber auch im allgemeinen Teil oder im Schuldrecht lassen sich zwingende Rechtsvorschriften finden, beispielsweise, wenn für bestimmte Rechtsverhältnisse die Einhaltung der Schriftform verlangt wird. So kann eine Bürgschaft nur schriftlich übernommen werden (vgl. § 766 BGB). Dies dient dem Schutz des Bürgen, der durch die Schriftform gezwungen werden soll, sich ernsthaft mit der Frage der Übernahme einer Bürgschaft auseinander zu setzen. Deshalb ist die mündliche Übernahme einer Bürgschaft unwirksam, selbst wenn sich die Beteiligten geeinigt haben sollten, auf die Schriftform zu verzichten (vgl. § 125 BGB).

Die im BGB definierten Begriffe sind, auch wenn sie dieselbe Bezeichnung tragen wie im Steuerrecht, nicht immer identisch mit dem im Steuerrecht verwendeten Begriffen. Hier ist bei der Rechtsanwendung genau darauf zu achten, welche Bedeutung einem bestimmten Begriff für die Lösung eines Falles zukommt.

Vertragsrecht

1. Begriff des Wohnsitz

An den Wohnsitz werden die verschiedensten Rechtsfolgen geknüpft. Er stellt den wichtigsten örtlichen Anknüpfungspunkt für die Rechtsverhältnisse des Menschen dar.

Was aber im Einzelnen unter einem Wohnsitz zu verstehen ist, ist innerhalb der Rechtsordnung nicht einheitlich geregelt. Es ist deshalb stets zu prüfen, wie für den konkreten Fall der Begriff "Wohnsitz" definiert wird.

1.1 Wohnsitz im Sinne des BGB

Der Wohnsitz wird dort begründet, wo sich der räumliche Schwerpunkt (Mittelpunkt) der gesamten Lebensverhältnisse einer Person befinden. Dies geschieht

  1. durch ein tatsächliches Niederlassen an einem bestimmten Ort.
  2. Außerdem setzt der Wohnsitz einen Begründungswillen der Betroffenen voraus, d. h. die Betroffenen müssen eine Entscheidung zugunsten des einzelnen Ortes, diesen zum Schwerpunkt des Lebens zu machen, treffen. Daran fehlt es beispielsweise bei Strafgefangenen, die unabhängig von ihrem Willen in einer Strafvollzugsanstalt untergebracht werden.[1] Da es sich hierbei um eine Willenserklärung handelt, können minderjährige Kinder und andere nicht voll Geschäftsfähige grundsätzlich nicht ohne gesetzliche Vertretung einen Wohnsitz im Sinne des BGB begründen (vgl. dazu im Einzelnen weiter unten). Ausnahmen gelten für minderjährige und geschiedene Personen.[2]
[1] Vgl. BGH, Urteil v. 19.6.1996, XII ARZ 5/96, NJW-RR 1996 S. 1217.

1.2 Unterschied zum Wohnsitzbegriff der AO: Wohnraum statt kleinste politische Einheit

Im Gegensatz zum Wohnsitzbegriff in § 8 AO ist mit Wohnsitz im Sinne des § 7 BGB die kleinste politische Einheit, d. h. in der Regel die Gemeinde, in der die Wohnung liegt, gemeint und nicht die Wohnung selbst.[1] Nach § 8 AO sind mit Wohnsitz im Steuerrecht die objektiv zum Wohnen geeigneten Wohnräume gemeint. Hierfür genügt eine bescheidene Bleibe. Nicht erforderlich ist eine abgeschlossene Wohnung mit Küche und separater Waschgelegenheit im Sinne des Bewertungsgesetzes.[2] Der Wohnsitzbegriff im Sinne der AO stellt allein auf die tatsächlichen oder wirtschaftlichen Verhältnisse ab[3]; die Frage des für den zivilrechtlichen Wohnsitzbegriff notwendigen Begründungswillens wird im Steuerrecht nicht gestellt.

Die Anknüpfung an die Räumlichkeiten und nicht nur an die kleinste politische Einheit macht in Steuerverfahren auch Sinn. Denn mit dem Wohnsitz im steuerlichen Sinn wird beispielsweise das für die Einkommen- und Erbschaftsteuer zuständige Wohnsitzfinanzamt bestimmt, wie § 19 Abs. 1 AO zeigt. Würde damit nur die politische Einheit festgelegt, bestünden Zuordnungsschwierigkeiten bei der Bestimmung des zuständigen Finanzamts, wenn es in einer Gemeinde, wie dies bei größeren Gemeinden häufig der Fall ist, mehrere Finanzämter gibt.

Trotzdem stimmen in der Regel der bürgerlich-rechtliche, aufgr...

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