Leitsatz
1. Geht ein volljähriges Kind nach Abitur und anschließendem Zivildienst bis zum Beginn des Studiums einer Vollzeiterwerbstätigkeit nach, ist es für die vollen Monate, in denen es erwerbstätig ist, nicht als Kind zu berücksichtigen.
2. Für die Monate des Jahres, in denen es nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a bis c EStG als Kind zu berücksichtigen ist, z.B. weil es studiert, besteht Anspruch auf Kindergeld, sofern die Einkünfte und Bezüge des Kindes die maßgebende Grenze nicht übersteigen. Bei der Ermittlung der Einkünfte und Bezüge des Kindes bleiben die Einkünfte aus der Vollzeiterwerbstätigkeit außer Ansatz, soweit sie auf die Monate entfallen, in denen das Kind erwerbstätig war.
Normenkette
§ 32 Abs. 4 EStG
Sachverhalt
Der Sohn C des Klägers schloss 2001 mit dem Abitur die allgemeine Schulausbildung ab. Bis Mitte Februar 2003 leistete er Zivildienst, war danach bis Mitte April krank und arbeitete von Mai bis September in einem befristeten Arbeitsverhältnis, aus dem er einen Arbeitslohn von 8.240 EUR bezog. Außerdem hatte er Entlassungsgeld (620 EUR) und Krankengeld (2.918 EUR) erhalten.
Ab Oktober begann er mit dem Studium, das er, da es erst zum Wintersemester angeboten wurde, nicht früher beginnen konnte.
Die Familienkasse war der Meinung, da C noch keinen berufsqualifizierenden Abschluss erreicht habe, erfülle er auch während der Vollzeiterwerbstätigkeit von Mai bis September und somit von Februar bis Dezember 2003 dem Grund nach die Berücksichtigungsvoraussetzungen.
Wegen Überschreitens der Einkünfte- und Bezügegrenze von 6.589 EUR (11/12 von 7.188 EUR) scheide die Berücksichtigung jedoch aus.
Entscheidung
Der BFH lehnte die Berücksichtigungsvoraussetzungen während der vollen Monate der Erwerbstätigkeit ab. Die auf diese Monate entfallenden Einkünfte bleiben daher außer Ansatz. Da die Einkünfte und Bezüge des C in den Berücksichtigungsmonaten (Februar bis Mai und Oktober bis Dezember) den anteiligen Grenzbetrag nicht überschritten, stand dem Kläger, wie beantragt, für Oktober bis Dezember Kindergeld zu.
Hinweis
Ein volljähriges Kind kann nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 EStG für Kindergeld/Kinderfreibetrag u.a. berücksichtigt werden, wenn es für einen Beruf ausgebildet wird (Buchst. a), sich in einer Übergangszeit von höchstens 4 Monaten zwischen zwei Ausbildungsabschnitten oder zwischen einem Ausbildungsabschnitt und der Ableistung des Wehr- oder Zivildienstes befindet (Buchst. b) oder eine Berufsausbildung mangels Ausbildungsplatzes nicht beginnen oder fortsetzen kann (Buchst. c).
Für Fälle, in denen das Kind bereits eine berufsqualifizierende Ausbildung abgeschlossen und im Anschluss daran eine Vollzeiterwerbstätigkeit aufgenommen hatte, entschied der BFH, eine Berücksichtigung sei ausgeschlossen, auch wenn das Kind später die Ausbildung fortsetzt. Denn während der Vollzeiterwerbstätigkeit fehle es an einer typischen Unterhaltssituation im Verhältnis der Eltern zu dem Kind, und zwar unabhängig von der Höhe der während der Vollzeiterwerbstätigkeit erzielten Einkünfte (BFH, Urteile vom 19.10.2001, VI R 39/00, BFH-PR 2002, 91; vom 23.11.2001, VI R 77/99, BFH-PR 2002, 168; vom 15.7.2003, VIII R 77/00, BFH-PR 2004, 9).
Nunmehr hat der BFH entschieden, dass die für Kinder mit berufsqualifizierender Ausbildung aufgestellten Grundsätze auch für die Fälle gelten, in denen das Kind noch keinen qualifizierten Abschluss erreicht, sondern erst eine Ausbildung allgemeiner Art abgeschlossen hat.
Auch hier ist die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Eltern bei Aufnahme einer Vollzeiterwerbstätigkeit des Kindes typischerweise nicht gemindert, selbst wenn das Kind diese Tätigkeit möglicherweise nicht dauerhaft ausübt, weil es eine weitere Ausbildung anstrebt.
Der BFH widerspricht damit der Dienstanweisung (DAFamEStG). Danach ist ein vollzeiterwerbstätiges Kind, das nachfolgend eine Berufsausbildung beginnen möchte, nur dann nicht zu berücksichtigen, wenn es eine berufsqualifizierende Ausbildung, nicht aber eine Ausbildung allgemeiner Art, abgeschlossen hat (Abschn. 63.3.2.6 Abs. 2a, 63.3.3 Abs. 4 DAFamEStG; BMF, Schreiben vom 4.2.2003, BStBl I 2003, 128).
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 15.9.2005, III R 67/04