Leitsatz
Dem EuGH werden folgende Fragen zur Vorabentscheidung zur Auslegung der MwStSystRL vorgelegt:
1. Steht einem Leistungsempfänger mit Ansässigkeit im Inland ein sog. Direktanspruch gegen die inländische Finanzverwaltung entsprechend dem EuGH-Urteil Reemtsma Cigarettenfabriken vom 15.03.2007 – C‐35/05 (EU:C:2007:167) zu, wenn
(a) dem Leistungsempfänger von einem Leistenden, der gleichfalls im Inland ansässig ist, eine Rechnung mit inländischem Steuerausweis erteilt wird, die der Leistungsempfänger bezahlt, wobei der Leistende die in der Rechnung ausgewiesene Steuer ordnungsgemäß versteuert,
(b) es sich bei der in Rechnung gestellten Leistung aber um eine in einem anderen Mitgliedstaat erbrachte Leistung handelt,
(c) dem Leistungsempfänger daher der Vorsteuerabzug im Inland versagt wird, da es an einer im Inland gesetzlich geschuldeten Steuer fehlt,
(d) der Leistende die Rechnung daraufhin dahingehend berichtigt, dass der inländische Steuerausweis entfällt und sich der Rechnungsbetrag daher in Höhe des Steuerausweises mindert,
(e) der Leistungsempfänger aufgrund der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Leistenden Zahlungsansprüche gegen den Leistenden nicht durchsetzen kann und
(f) für den im anderen Mitgliedstaat bislang nicht registrierten Leistenden die Möglichkeit besteht, sich in diesem Mitgliedstaat mehrwertsteuerrechtlich registrieren zu lassen, so dass er danach unter Angabe einer Steuernummer dieses Mitgliedstaats dem Leistungsempfänger eine Rechnung unter Ausweis der Steuer dieses Mitgliedstaats erteilen könnte, die den Leistungsempfänger in diesem Mitgliedstaat zum Vorsteuerabzug im besonderen Verfahren nach der Richtlinie 2008/9/EG zum Vorsteuerabzug berechtigen würde?
2. Kommt es für die Beantwortung dieser Frage darauf an, dass die inländische Finanzverwaltung dem Leistenden aufgrund der bloßen Rechnungsberichtigung die Steuerzahlung erstattet hat, obwohl der Leistende aufgrund der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über sein Vermögen nichts an den Leistungsempfänger zurückgezahlt hat?
Normenkette
§ 163, § 227 AO
Sachverhalt
Die Klägerin ist Rechtsnachfolgerin einer KG. Sie erwarb 2007, 2008, 2010 und 2012 Motorboote von E, die die Boote von der in Italien ansässigen X erworben hatte. Die Rechnungen der X an E wurden ohne Ausweis von MwSt mit dem Hinweis auf eine innergemeinschaftliche Lieferung ("prestazione intracomunitaria") ausgestellt. E verkaufte die Boote an die KG zum identischen Nettokaufpreis zuzüglich deutscher USt weiter. Die KG zahlte den Kaufpreis an E.
Die Übergabe der Boote wurde jeweils durch den Abschluss eines Leasingvertrages mit Nutzungsüberlassung ersetzt. Einige Tage danach schlossen E und die KG einen Mobilienleasingvertrag über das jeweilige Boot mit einer Laufzeit von 36 Monaten und einer monatlichen Leasingrate.
E erteilte der KG anschließend Rechnungen mit offen ausgewiesener USt, meldete inländische USt in ihren Steuererklärungen an und führte sie an das für sie zuständige Finanzamt (FA X) ab. Die KG zog die in der Rechnung ausgewiesene deutsche USt als Vorsteuer ab.
Im Rahmen einer bei E durchgeführten Außenprüfung wurde festgestellt, dass sich die Boote im Zeitpunkt des Verkaufs jeweils nicht in Deutschland, sondern auf einem Binnensee in Italien befunden hatten.
Die E berichtigte danach die Rechnungen an die KG, indem sie ausführte, im pauschalen Rechnungsbetrag sei entgegen der ursprünglichen Rechnung keine deutsche USt enthalten. Den Rechnungsbetrag habe sie bereits vollständig enthalten.
Das FA versagte daraufhin der Klägerin den Vorsteuerabzug, da es sich um Lieferungen ohne Beförderung gehandelt habe, die am Belegenheitsort der Boote, d.h. in Italien, steuerbar seien. Die von E in Rechnung gestellte deutsche USt sei daher nicht als Vorsteuer abziehbar. Die Einsprüche blieben erfolglos. Die KG zahlte alle Vorsteuern an das FA zurück.
Über das Vermögen der E wurde 2014 das Insolvenzverfahren eröffnet. Mit Schreiben vom 10.12.2014 widerrief der Insolvenzverwalter der E den USt-Ausweis aus den sechs Rechnungen über die Lieferung der Boote. Das für E zuständige FA X teilte mit, dass E einen Berichtigungsantrag nach § 17 UStG für den Voranmeldungszeitraum Dezember 2014 gestellt habe. Dem Antrag sei stattgegeben und die abgeführte USt an die Masse erstattet worden. Der steuerliche Vertreter des Insolvenzverwalters sei darüber informiert worden, dass er verpflichtet sei, die Umsätze in Italien zu versteuern.
Nach Angaben der Klägerin weigert sich der Insolvenzverwalter, ihr eine Rechnung mit italienischer USt auszustellen. Eine Klage auf Erteilung einer Rechnung mit offen ausgewiesener italienischer USt hat die Klägerin gegen die E-GmbH nicht erhoben.
Die KG beantragte eine abweichende Festsetzung der USt 2007, 2008, 2010 und 2012 sowie der darauf entfallenden Nebenleistungen aus Billigkeitsgründen nach § 163 AO, hilfsweise einen Erlass nach § 227 AO. Das FA lehnte den Antrag ab. Mit Einspruchsentscheidung vom 30.4.2018 wies das FA den Einspruch der KG als un...