Leitsatz
* Die Revision wird zur weiteren Klärung der Rechtsfrage zugelassen, unter welchen Voraussetzungen und in welchem Umfang nachträglich bekannt gewordene Vorsteuerbeträge gem. § 173 Abs.1 Nr. 2 Satz 2 AO berücksichtigt werden dürfen.
* Leitsatz nicht amtlich
Normenkette
§ 15 Abs. 1 UStG , § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO
Sachverhalt
Da die Klägerin keine USt-Erklärung abgegeben hatte, schätzte das FA die Besteuerungsgrundlagen unter Anlehnung an die USt-Voranmeldungen. In einem auf § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO (Bekanntwerden neuer Tatsachen, die zu einer höheren Steuer führen) gestützten Bescheid änderte das FA die USt-Festsetzung, indem es zwar die erklärten Umsätze berücksichtigte, die zusätzliche Vorsteuer jedoch nur zu dem Anteil, zu dem sie auf die nachträglich bekannt gewordenen Umsätze entfiel.
Das FG meinte, das FA habe die Grundsätze des BFH-Urteils vom 19.10.1995, V R 60/92 (BStBl II 1996, 149) auf den Streitfall fehlerhaft angewendet, weil es bei seiner Rechnung außer Betracht gelassen habe, dass im Streitfall – anders als im Ausgangsfall des BFH-Urteils – auch die Vorsteuerbeträge geschätzt worden seien.
Entscheidung
Der BFH ließ die Revision zu. Halten Sie Fälle, bei denen es um nachträglich bekannt gewordene Vorsteuerbeträge geht, offen bis zu einer Entscheidung über die Revision.
Hinweis
Tatsachen oder Beweismittel, die zu einer niedereren Steuer führen, dürfen nach Bestandskraft des Steuerbescheids grundsätzlich nur dann berücksichtigt werden, wenn den Steuerpflichtigen kein grobes Verschulden daran trifft, dass die Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden (§ 173 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 AO). Nach dieser Vorschrift ist das Verschulden unbeachtlich, wenn die Tatsachen oder Beweismittel in einem unmittelbaren oder mittelbaren Zusammenhang mit Tatsachen stehen, die zu einer höheren Steuer führen (§ 173 Abs. 1 Nr. 1 AO).
Hat das FA wegen Nichtabgabe der Steuererklärung die Umsätze und Vorsteuerbeträge geschätzt und wird nach Eintritt der Bestandskraft des Schätzungsbescheids – z.B. aufgrund späterer Abgabe der Umsatzsteuererklärung – bekannt, dass der Unternehmer höhere Umsätze bewirkt hat, stellt sich die Frage, ob und ggf. in welchem Umfang auch im Vergleich zu den geschätzten Vorsteuerbeträgen höhere Vorsteuerbeträge berücksichtigt werden dürfen. Der BFH hatte im Urteil vom 19.10.1995, V R 60/92, BStBl II 1996, 149 diese Frage entschieden: danach stehen die erklärten, nicht bereits im Schätzungsbescheid erfassten Vorsteuerbeträge mit den nachträglich bekannt gewordenen Umsätzen grundsätzlich nur insoweit in Zusammenhang, als sie zur Ausführung dieser Umsätze verwendet worden sind; sie müssen im Schätzungsweg aufgeteilt werden.
In einem vom FG Berlin entschiedenen Fall (Urteil vom 8.5.2001, 7 K 7331/00, EFG 2001, 1259) kamen FA und FG, ausgehend von der BFH-Entscheidung, zu unterschiedlichen Ergebnissen. Die offensichtlichen Schwierigkeiten bei der Umsetzung der Entscheidung und die neuere Rechtsprechung zum Vorsteuerabzug legten es nahe, die Voraussetzungen für eine Berücksichtigung nachträglich bekannt gewordener Vorsteuerbeträge nochmals zu überprüfen.
Link zur Entscheidung
BFH, Beschluss vom 19.6.2002, V B 122/01