Leitsatz
Eine Bilanz kann nicht nach § 4 Abs. 2 Satz 1 EStG geändert ("berichtigt") werden, wenn sie nach dem Maßstab des Erkenntnisstands zum Zeitpunkt ihrer Erstellung den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung entspricht. Dabei ist, wenn eine bestimmte Bilanzierungsfrage nicht durch die Rechtsprechung abschließend geklärt ist, jede der kaufmännischen Sorgfalt entsprechende Bilanzierung als in diesem Sinn "richtig" anzusehen (Bestätigung des Senatsurteils vom 5.4.2006, I R 46/04, BFH-PR 2006, 341, BStBl II 2006, 688).
Normenkette
§ 4 Abs. 2 Satz 1 EStG
Sachverhalt
Die Klägerin, eine Sparkasse, gewährte einigen ihrer aktiven und ehemaligen Beschäftigten im Krankheitsfall Beihilfen nach beamtenrechtlichen Grundsätzen. Sie bildete erstmals in ihren Bilanzen zum 31.12.1998 und zum 31.12.1999 (Streitjahre) eine Rückstellung für Beihilfen an Pensionäre. Das FA folgte dem nicht.
Die Klägerin legte dagegen Einspruch ein. Während des Einspruchsverfahrens wurde ihr das Urteil des BFH vom 30.1.2002, I R 71/00 (BFH-PR 2002, 362, BStBl II 2003, 279) bekannt. Nach diesem Urteil ist für die Verpflichtung, Pensionären und aktiven Mitarbeitern während der Zeit ihres Ruhestands Beihilfen zu gewähren, eine Rückstellung zu bilden. Die Klägerin erweiterte daraufhin ihr Begehren dahin, dass auch die Zuführungen zu einer Rückstellung für entsprechende Verpflichtungen gegenüber noch im aktiven Dienst befindlichen Bediensteten zu berücksichtigen seien.
Das FA folgte diesem Begehren in der Einspruchsentscheidung nicht. Der daraufhin erhobenen Klage gab das FG statt (EFG) 2006, 1410).
Entscheidung
Dem ist der BFH nicht gefolgt: Die ursprünglich in die Bilanz eingestellte Rückstellung sei zwar zu Recht gebildet worden und mindere deshalb den steuerlichen Gewinn; der gewinnmindernde Ansatz eines zusätzlichen Rückstellungsbetrags sei aber ausgeschlossen. Im Zeitpunkt der Aufstellung jener Bilanz sei nämlich die Zulässigkeit der Rückstellungsbildung weder eindeutig vom Gesetz vorgegeben noch durch die höchstrichterliche Rechtsprechung bestätigt gewesen, und die Finanzverwaltung habe seinerzeit entsprechende Rückstellungen nicht anerkannt.
Angesichts dessen könne die Bilanz der Sparkasse in diesem Punkt nicht berichtigt werden, weshalb die nachträgliche Berücksichtigung einer zusätzlichen Rückstellung nicht möglich sei.
Hinweis
1. Nach § 4 Abs. 2 Satz 1 EStG kann ein Unternehmen eine "Bilanzberichtigung" vornehmen, wenn es seine Bilanz beim FA eingereicht hat, diese Bilanz aber inhaltlich fehlerhaft ist. Dazu hat der BFH wiederholt entschieden, dass allein die objektive Unrichtigkeit einer Bilanz deren Berichtigung nicht rechtfertigt; eine Bilanzberichtigung setzt vielmehr voraus, dass der Unternehmer bei der Aufstellung der Bilanz den Fehler hätte erkennen können. Zuletzt ergab sich das aus dem BFH-Urteil vom 5.4.2006, I R 46/04 (BFH-PR 2006, 341) und auf das dort dazu gründlich Ausgeführte ist an dieser Stelle zu verweisen.
2. Denn der BFH hält ungeachtet aller Kritik an dieser seiner Rechtsprechung fest.
Solange der Steuerpflichtige den (objektiven) Bilanzierungsfehler nach den im Zeitpunkt der Bilanzerstellung bestehenden Erkenntnismöglichkeiten über die zum Bilanzstichtag gegebenen objektiven Verhältnisse bei pflichtgemäßer und gewissenhafter Prüfung erkennen konnte, dann ermöglicht § 4 Abs. 2 Satz 1 EStG die Bilanzberichtigung.
Dieses Erfordernis der subjektiven Fehlerhaftigkeit (als Ausdruck des subjektiven Bilanzbegriffs) ist mit Gewissheit erfüllt, wenn zu einer bestimmten Bilanzierungsfrage bereits höchstrichterliche Rechtsprechung vorliegt, der Steuerpflichtige sich stattdessen jedoch zu einer anderslautenden der (falschen) Verwaltungsmeinung bekennt.
Verhält es sich so aber auch, wenn es im Zeitpunkt der Bilanzaufstellung noch an einer höchstrichterlichen Rechtsprechung zu einer Rechtsfrage fehlte, der Steuerpflichtige der dazu bestehenden Rechtsauffassung der Verwaltung zunächst folgt und diese erst später korrigieren will, nachdem die Verwaltung ihre Meinung wegen eines zwischenzeitlich ergangenen Urteils geändert hat?
Der BFH hat das bejaht. Er unterscheidet dabei nicht zwischen der (subjektiven) Beurteilung des konkret in Rede stehenden Sachverhalts und der ebenfalls konkret anzuwendenden Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung. Letztere sind zwar eigentlich normativer Natur, jedoch mit dem Sachverhalt regelmäßig derart eng verwoben, dass sie einer Differenzierung aus Sicht des Bilanzierenden nicht zugänglich erscheinen.
3. Die Konsequenzen sind beträchtlich: Der Steuerpflichtige muss schon explizit durch einen entsprechenden Vorbehalt kenntlich machen, wenn er einer Verwaltungsmeinung nicht folgen will, und ggf. muss er sich dann gegen einen Steuerbescheid qua Rechtsbehelf auch wehren, also "aktiv" tätig werden. Bloßes Zuwarten erweist sich hingegen als schädlich!
Der Umstand der Vorbehaltsfestsetzung ändert daran nichts; verfahrensrechtliche Änderungsmöglichkeiten werden vielmehr materiell-rechtlich "überlagert" und lassen eine "Neu...