Prof. Dr. Franceska Werth
Leitsatz
Die Möglichkeit des Berechtigten einer Lebensversicherung, deren Versicherungsleistung von der Wertentwicklung eines Anlagestocks abhängt, aus mehreren standardisierten Anlagestrategien zu wählen, begründet allein keine mittelbare Dispositionsbefugnis i.S. von § 20 Abs. 1 Nr. 6 Satz 5 EStG.
Normenkette
§ 20 Abs. 1 Nr. 6 Satz 5 EStG
Sachverhalt
Die Klägerin schloss auf Vermittlung der X-AG, bei der sie ein Wertpapierdepot unterhielt, im Jahr 2007 eine lebenslängliche Todesfallversicherung mit Einmalprämie bei der Y-AG (Liechtenstein) ab. Der Sparanteil der Versicherungsprämie i.H.v. 1.200.000 EUR wurde von der Klägerin mittels Banküberweisung gezahlt. Die Versicherungsleistung war, abgesehen von einer Mindesttodesfallleistung, an die Wertentwicklung des Depots gebunden. Sie wurde in verschiedene Vermögenswerte investiert, die in einem dem Versicherungsvertrag zugeordneten Depotkonto gehalten wurden.
Die X wurde von der Y als Vermögensverwalter bestimmt. Ein Wahlrecht auf die Beauftragung eines bestimmten Vermögensverwalters oder einer bestimmten Depotbank bestand nach den Vertragsbedingungen nicht. Anlageentscheidungen wurden ausschließlich vom beauftragten Vermögensverwalter getroffen. Die Klägerin konnte weder unmittelbar noch mittelbar über die Veräußerung der Vermögensgegenstände und die Wiederanlage der Erlöse bestimmen. Sie hatte jedoch das Recht, die Anlagestrategie während der Vertragsdauer beliebig oft, kostenfrei bis zu viermal jährlich, zu ändern.
Nach Auffassung des FA handelte es sich um eine vermögensverwaltende Versicherung i.S.v. § 20 Abs. 1 Nr. 6 Satz 5 EStG. Es schätzte die Kapitalerträge auf 4 % der gezahlten Einmalprämie, mithin auf 48.000 EUR jährlich, und rechnete diese der Klägerin zu. Das FG (FG Köln, Urteil vom 29.9.2015, 10 K 3587/13, Haufe-Index 8732050, EFG 2016, 26) gab der hiergegen erhobenen Klage statt.
Entscheidung
Der BFH hat die Revision des FA nach § 126 FGO als offensichtlich unbegründet zurückgewiesen.
Hinweis
1. Die entscheidende Frage im Streitfall ist, ob ein vermögensverwaltender Versicherungsvertrag i.S.v. § 20 Abs. 1 Nr. 6 Satz 5 EStG vorliegt. Nur in diesem Fall konnte das FA der Klägerin die laufenden Erträge aus der Versicherung jährlich zurechnen und besteuern. Handelt es sich dagegen um eine "normale" Lebensversicherung i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 6 Satz 1 EStG, ist der Unterschiedsbetrag zwischen der Versicherungsleistung und der Summe der auf sie entrichteten Beiträge ggf. erst mit Eintritt des Versicherungsfalls zu versteuern.
2. Zwar handelt es sich bei der Versicherung der Klägerin um eine Kapitalversicherung mit Sparanteil i.S.v. § 20 Abs. 1 Nr. 6 EStG. Die Voraussetzungen für das Vorliegen eines vermögensverwaltenden Versicherungsvertrags nach § 20 Abs. 1 Nr. 6 Satz 5 EStG sind jedoch nicht erfüllt. Entgegen der Auffassung des FA reicht dafür nicht aus, dass die für die Klägerin erworbenen Vermögenswerte von der Versicherung in einem bestimmten, dem Versicherungsvertrag zugeordneten Depotkonto gehalten wurden.
Vielmehr ist erforderlich, dass die Klägerin als wirtschaftlich Berechtigte des Versicherungsvertrags unmittelbar oder mittelbar über die Veräußerung der Vermögensgegenstände und die Wiederanlage der Erlöse bestimmen konnte. Dies war vorliegend nicht der Fall.
Die Klägerin hatte auch kein Weisungsrecht gegenüber dem Versicherungsunternehmen oder dem Vermögensverwalter. Sie konnte auch keinen Wechsel des Vermögensverwalters verlangen. Allein die Möglichkeit, aus standardisierten Anlagestrategien zu wählen, führt nicht zu einer Einflussnahme i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 6 Satz 5 EStG. Denn auch bei einer standardisierten Anlagestrategie erfolgt die konkrete Anlageentscheidung innerhalb der abstrakt formulierten Anlageziele allein durch den Vermögensverwalter.
Schließlich führt auch die Möglichkeit, den Versicherungsvertrag zu kündigen, nicht zu einer steuerschädlichen Einflussmöglichkeit. Die Kündigung kann als "vermeintliches" Druckmittel bei jeder Lebensversicherung ausgeübt werden.
3. Der BFH hat in seiner Entscheidung offengelassen, ob er die Auffassung der Verwaltung teilt, dass (allein) die Einbringung eines bereits vorhandenen Depots in den Versicherungsvertrag die widerlegbare (tatsächliche) Vermutung einer fortbestehenden Einflussmöglichkeit erbringt (BMF, BStBl I 2009, 1172, Rz. 34i). Diese Frage war im vorliegenden Fall nicht entscheidungserheblich, da die Klägerin die Einmalprämie durch eine Geldzahlung erbracht hat.
Fortdauernde faktische Einflussnahmemöglichkeit erforderlich
In einem Obiter Dictum hat der BFH jedoch ausgeführt, dass maßgebend für das Vorliegen einer fondsgebundenen Lebensversicherung i.S.v. § 20 Abs. 1 Nr. 6 Satz 5 EStG der fortdauernde tatsächliche Einfluss während der Vertragslaufzeit ist, sodass im vorliegenden Fall der Klage wohl auch dann stattzugeben gewesen wäre, wenn die Klägerin zur Leistung der Einmalprämie ihr Depot eingebracht hätte.
Link zur Entscheidung
BFH, Beschluss vom 26.3.2019 – VIII R 36/15