Leitsatz
1. War ein Bilanzansatz im Zeitpunkt der Bilanzaufstellung rechtlich vertretbar, erweist er sich aber im weiteren Verlauf als unrichtig, so kann er unter den Voraussetzungen des § 4 Abs. 2 S. 2 EStG geändert werden.
2. Ein enger zeitlicher und sachlicher Zusammenhang zwischen einer Bilanzänderung nach § 4 Abs. 2 S. 2 EStG und einer Bilanzberichtigung nach § 4 Abs. 2 S. 1 EStG besteht jedenfalls dann, wenn sich beide Vorgänge auf dieselbe Bilanz beziehen und die Änderung der Bilanz unverzüglich nach der Bilanzberichtigung begehrt wird (Anschluss an BFH-Urteil vom 31.05.2007, IV R 54/05, BFH/NV 2007, 1973, BFH/PR 2007, 411).
3. Besteht Streit über die Zulässigkeit einer Bilanzänderung, so muss der Unternehmer nicht schon mit dem Antrag auf Bilanzänderung eine geänderte Bilanz aufstellen, wenn er den Streit gerichtlich klären lassen will. Er ist vielmehr berechtigt, zunächst diese Klärung zu betreiben und ggf. im Anschluss daran seine Bilanz entsprechend zu ändern (Anschluss an BFH-Urteil vom 27.09.2006, IV R 7/06, BFH/NV 2007, 326, BFH/PR 2007, 91; Abgrenzung vom Senatsurteil vom 13.06.2006, I R 84/05, BFH/NV 2006, 2334, BFH/PR 2007, 3).
Normenkette
§ 4 Abs. 2 EStG
Sachverhalt
Die Klägerin stellte am 15.03.2001 ihren Jahresabschluss für das Streitjahr 2000 auf. Auf der Grundlage dieses Abschlusses setzte das FA die KSt für das Streitjahr fest; die Steuerfestsetzung erging gem. § 164 Abs. 1 AO unter dem Vorbehalt der Nachprüfung.
Im Rahmen einer anschließenden Betriebsprüfung gelangte der Prüfer zu der Auffassung, dass der Steuerbilanzgewinn der Klägerin und ihr zu versteuerndes Einkommen zu erhöhen seien. Diese Sachbehandlung wird von der Klägerin nicht angegriffen.
Die Klägerin wies jedoch darauf hin, dass sie bisher zu Unrecht keine Rückstellung für die Kosten der künftigen Aufbewahrung von Geschäftsunterlagen gebildet habe. Daraus ergebe sich ein zusätzlicher Rückstellungsbedarf. Das FA berücksichtigte diesen Aufwand nicht und verwies zur Begründung darauf, dass die Rückstellung in der Handelsbilanz der Klägerin nicht gebildet worden sei.
Der dagegen gerichteten Klage hat das FG stattgegeben (FG Köln, Urteil vom 20.09.2007, 13 K 3156/05, Haufe-Index 1855244, EFG 2008, 285).
Entscheidung
Der BFH hat das FG-Urteil bestätigt. Solange die Bilanzkorrektur zeitnah und bezogen auf dieselbe Bilanz mit einer Bilanzänderung gem. § 4 Abs. 2 S. 2 EStG erfolge, sei die Klägerin an der Bilanzberichtigung nicht gehindert. Ihr sei es deswegen unbenommen gewesen, die Konsequenzen aus dem BFH-Urteil vom 19.08.2002, VIII R 30/01, (BFH/NV 2002, 1662, BFH/PR 2003, 11) zu ziehen und Rückstellungen für die zukünftigen Kosten der Aufbewahrung von Geschäftsunterlagen zu bilden. Dass dies zunächst unterblieben sei, sei unbeachtlich, weil die ursprüngliche Bilanzierung einem weitverbreiteten Meinungsbild vor Ergehen des zitierten BFH-Urteils entsprochen habe. Die ursprüngliche Bilanzierung sei folglich auch subjektiv "richtig" gewesen.
Hinweis
1. Der BFH hat in jüngerer Zeit wiederholt den sog. subjektiven Fehlerbegriff propagiert: In zwischenzeitlich ständiger Rechtsprechung hat er entschieden, dass allein die objektive Unrichtigkeit einer Bilanz deren Berichtigung nicht rechtfertigt; eine Bilanzberichtigung setzt vielmehr voraus, dass der Unternehmer bei der Aufstellung der Bilanz den Fehler hätte erkennen können. Zuletzt ergab sich das aus dem BFH-Urteil vom 23.01.2008, I R 40/07 (BFH/NV 2008, 1227, BFH/PR 2008, 336).
2. Daran hält er ein weiteres Mal fest. Er bekräftigt zudem, dass er nicht nur für die Bilanzberichtigung gem. § 4 Abs. 2 S. 1 EStG, sondern auch für die Bilanzänderung gem. § 4 Abs. 2 S. 2 EStG bedeutsam ist.
3.Allerdings: Solange eine bestimmte Bilanzierung höchstrichterlich noch nicht abgelehnt (oder bestätigt) worden ist, solange ist jegliche Bilanzierung "richtig", für die gute und vertretbare Gründe sprechen. Darin liegt das kaufmännische Ermessen, und das entspricht gerade jenem subjektiven Bilanzierungsverständnis.
Das bedeutet aber zugleich: Eine derart subjektiv "richtige" Bilanzierung kann ggf. im Zug einer späteren Bilanzberichtigung gem. § 4 Abs. 2 S. 1 EStG, welche das FA (meistens nach einer Betriebsprüfung) vornimmt, geändert werden, …
4. …, vorausgesetzt, den gesetzlichen Erfordernissen des § 4 Abs. 2 S. 2 EStG ist genügt: Es muss ein enger zeitlicher und sachlicher Zusammenhang zwischen einer Bilanzänderung nach § 4 Abs. 2 S. 2 EStG und einer Bilanzberichtigung nach § 4 Abs. 2 S. 1 EStG bestehen. Das ist regelmäßig dann der Fall, wenn sich beide Vorgänge auf dieselbe Bilanz beziehen und die Änderung der Bilanz unverzüglich nach der Bilanzberichtigung vorgenommen wird.
5. Merke: Der in der Fachöffentlichkeit oftmals bemängelte subjektive Fehlerbegriff entpuppt sich jedenfalls bei Vorliegen von Berichtigungen der Bilanz durch die Betriebsprüfung als nicht gar so "tragisch" und folgenschwer.
Das rührt zum einen aus der wechselseitigen Bindung auch der Finanzverwaltung an dem subjektiv "richtigen", vom Steue...