In der Regel bezieht sich die Ungewissheit von Tatsachen oder die Frage der Verfassungsmäßigkeit nur auf einen Teil der für die Besteuerung maßgeblichen Voraussetzungen. In diesen Fällen kann und muss das Finanzamt die Vorläufigkeit auf diesen Teil beschränken.
Vorläufigkeit nur teilweise
Das Finanzamt hält geltend gemachte umfangreiche Aufwendungen für doppelte Haushaltsführung für aufklärungsbedürftig. Es kann die Einkommensteuerbescheide bezüglich dieser Aufwendungen für vorläufig erklären. Eine Erstreckung der Vorläufigkeit auf die gesamten Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit ist unzulässig.
Gewöhnlich geht das Finanzamt so vor, dass es im Tenor des Bescheids die Vorläufigkeit unbeschränkt ausspricht, sie in den Erläuterungen jedoch einschränkt, indem es z. B. ausführt, dass der Bescheid "hinsichtlich …" vorläufig ergeht. Dies ist durchaus möglich, wenn nur für den Empfänger bei verständiger Würdigung klar und eindeutig ist, dass die Vorläufigkeit eingeschränkt ist und auf welche Besteuerungsgrundlagen ("Voraussetzungen für die Entstehung der Steuer") sie sich bezieht.
Besteht bezüglich des Umfangs Unklarheit, ist er durch Auslegung zu ermitteln, ggf. unter Heranziehung der Erläuterungen zum Steuerbescheid. Entscheidend hierbei ist – entsprechend dem allgemeinen Auslegungsgrundsatz –, wie der Adressat selbst, also der Steuerpflichtige, nach den ihm bekannten Umständen den materiellen Gehalt des Vorläufigkeitsvermerks unter Berücksichtigung von Treu und Glauben verstehen konnte. Aus dem Auslegungsergebnis folgt auch die Antwort auf die Frage, in welchem Umfang der Steuerbescheid bei Wegfall der Ungewissheit später geändert werden kann.
Steuerbescheid maßgeblich
Nach einer Außenprüfung will der Prüfer die Beurteilung der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung im zu ändernden Einkommensteuerbescheid wegen noch ungeklärter Fragen im Zusammenhang mit der Kaufpreisaufteilung und der damit verbundenen Höhe der AfA offenlassen. Dies soll im Wege der Vorläufigkeit erfolgen und wird im Prüfungsbericht entsprechend vermerkt. Bei der Veranlagung geht der Sachbearbeiter rechtsirrig davon aus, dass für die Angabe des Grunds und des Umfangs der Vorläufigkeit eine Bezugnahme im Einkommensteuerbescheid auf den Prüfungsbericht genügt. Er erlässt einen entsprechenden Änderungsbescheid, in dessen Begründung auf diesen Bericht verwiesen wird und der hinsichtlich der Vorläufigkeit lediglich den programmgesteuerten Katalog anhängiger Verfassungsbeschwerden enthält. Für eine vorläufige Erfassung der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung reicht dies nicht aus, da die Absicht des Prüfers in dem bekannt gegebenen Inhalt des Änderungsbescheids keinen hinreichend eindeutigen Niederschlag gefunden hat. Eine spätere Korrektur dieser Einkünfte in einem erneuten Änderungsbescheid gem. § 165 Abs. 2 AO nach Klärung der offenen Fragen wäre nicht mehr zulässig.
Führt auch eine Auslegung nicht zum Ziel und ist der Vorläufigkeitsvermerk unklar, ist er nichtig. Der Bescheid ist dann in vollem Umfang endgültig. Dies gilt auch, wenn darin nur die Art und die Höhe einer bestimmten Einkunftsart festgestellt werden.
Nichtiger Vorläufigkeitsvermerk
Der Steuerpflichtige S betreibt eine Kunstgalerie und erzielt hieraus jahrelang Verluste. Da Wohnsitz- und Betriebsfinanzamt auseinanderfallen, sind die gewerblichen Einkünfte gem. § 180 Abs. 1 Nr. 2b AO gesondert festzustellen. Die entsprechenden Feststellungsbescheide ergehen – unter Anerkennung der Verluste – "vorläufig gem. § 165 Abs. 1 Satz 1 AO". Weitere Angaben fehlen. Nach einer Außenprüfung werden die Verluste wegen "Liebhaberei" nicht mehr angesetzt. Die Änderungsbescheide beruhen auf § 165 Abs. 2 Satz 1 AO.
Dies ist nicht rechtens, da die Vorläufigkeitsvermerke nichtig waren. Auch bei der Beschränkung auf eine Einkunftsart verbleibt eine Vielzahl von Tatsachen, die ungewiss sein können (Gewinnerzielungsabsicht, die betriebliche Veranlassung sowie die Höhe einzelner Einnahmen und Ausgaben oder der Ansatz von Privatanteilen).